Zur Vorgeschichte des serbischen Bürgerkriegs: Der Roman „Verlorene Schlacht“ von Milovan Djilas

Djilas hat offenbar den Roman der Geschichte seiner Familie geschrieben, seiner Großelterngeneration.

Es geht um die Kämpfe der Montenigriner und ihrer serbischen Nachbarn gegen die zum Islam konvertierten Serben im türkisch kolonisierten Teil Serbiens in der Zeit um 1880.

Kaum jemand scheint sich heute (2025) noch für die Wirren und Greuel des serbischen Bürgerkriegs vor 30 Jahren zu interessieren. Auch hier scheint die „Erinnerungskultur“ schwach. – Djilas Roman läßt die Vorgeschichte des größten Kriegsverbrechens in Europa nach dem 2. Weltkrieg aufleben.

Als ich den Roman aufschlug erinnerte ich mich mit Schaudern: Eine Altenpflegerin, mit der ich als Hilfskraft Anfang der 90ziger Jahre des letzten Jahrhunderts zusammenarbeitete, war Montenegrinerin. Sie war stolz darauf, daß ihr Freund überlegte, nach Serbien zurückzukehren und im Bürgerkrieg gegen die serbischen Moslems zu kämpfen. „Das sind alles Verräter“ schimpfte sie, die haben mit den Türken gemeinsame Sache gemacht!“ – Mehr als 100 Jahre nach dem Geschehen, das Djilas in seinem Roman dokumentiert! – Ein paar Jahre später fand der Völkermord an 8000 serbisch-muslimischen Männern in Srbreniza statt. –

Djilas Roman schildert eine Form der Zivilisation, die es an vielen Orten der Welt gab und immer noch gibt: Bauern in abgelegenen Gebirgsregionen, die niemanden interessieren. – Die Schilderungen erinnerten mich stellenweise an isländische Sagas. Eine Dokumentation, die ich auf Arte gesehen hatte, über das Leben von norwegischen Bauern vor dem 2.Weltkrieg, halfen mir, die Schilderungen Djilas noch lebendiger zu erleben.

Ehre, Stolz, Streben nach mehr wirtschaftlichem Erfolg, Solidarität mit der Sippe: rechtfertigt das Krieg, Leid und Tod? Die Sippe, die Djilas beschreibt ist gespalten: die einen wollen ein friedliches Auskommen unter dem Türkenjoch, so bescheiden wie auch immer, wenn es nur friedlich ist; andere erleben es als unerträgliche Kränkung, Leibeigene der Türken und der zum Islam konvertierten Serben zu sein, die mit den Türken gemeinsame Sache machen; wieder andere stören sich bloß daran, daß die Abgabenlast ihnen keine wirtschaftliche Entfaltung ermöglicht.

Djilas stellt diesen Konflikt dar, nimmt aber dazu nicht Stellung. Doch obwohl Djilas als junger Mann selber revolutionär engagierter Marxist war und später als Partisanführer gegen die Nazis gekämpft hat, und obwohl er die Hauptpersonen seines Romans zu Befürwortern der Revolte macht, wirkt Djilas Darstellung der Konfliktproblematik auf mich so (möglicherweise durch meine Voreingenommenheit), als ob er eher auf der Seite derjenigen steht, die trotz allem den Frieden wollen.

Überraschend ist, daß Djilas nach zweihundert Seiten die Perspektive wechselt und die Welt der islamischen Serben beschreibt, überraschend um so mehr, als er dabei höchst einfühlsam die Perspektive zweier pubertierender Mädchen aus der streng traditionellen islamisch geprägten Lebensform einnimmt und sich mit ihrer Perspektive aufs Leben und auf ihre Welt identifiziert zeigt.

Heute gilt das den literarischen Tugendwächtern als absolutes empörendes NoGo: Ein alter Weißer Mann schreibt aus der Perspektive zweier Mädchen aus einer traditionellen islamischen Kultur!

Doch die Tugendwächter haben nicht mal halb recht. Sie unterstellen immer, jemand, der soetwas macht, behaupte damit: „So denken und fühlen diese Menschen, ich habe mich damit ausgiebig beschäftigt, ich kann das jetzt beurteilen!“ – Aber die Perspektive einer anderen Kultur und eines anderen Geschlechts zu fingieren ist keine Behauptung! Es ist einerseits nicht mehr, als der Versuch, mit den Mitteln, die einem akutell zur Verfügung stehen, der fremden Kultur und dem anderen Geschlecht so gerecht wie provisorisch möglich zu werden. Andererseits ist es ein heuristischer Kunstgriff, um zu der eigenen Kultur eine Distanz zu bekommen. Dahinter steht nicht mehr und nicht weniger als die Frage: „Wie kann ich das, was mir selbstverständlich geworden ist, hinterfragen? Wie kann ich mir vorstellbar machen, daß andere Menschen genau das gleiche Gefühl von Selbstverständlichkeit ihrer Werte haben?“

Die Perspektive zweier heranwachsender junger Frauen ermöglicht Djilas, Stärken und Schwächen der islamischen Kultur vorstellbar zu machen. Und in ihrer naiven Romantisierung von Krieg und Heldentum zeigt Djilas ein nahezu anatomisches Verständnis der Bedingung der Möglichkeit von Kriegen: Die jungen Frauen wissen von den gegenseitigen Übergriffen, Vergewaltigungen und Massakern, die schon damals immer wieder die verfeindeten Volksgruppen gegenseitig aneinander verübten. Und das macht ihnen auch Angst. Doch es führt auch dazu, daß sie sich ihre zukünftigen Männer als Helden vorstellen und vom Krieg schwärmen.

Das gibt Djilas Gelegenheit, am Ende des Romans durch die Schilderungen der Greuel und Absurditäten des Bürgerkriegs zu zeigen: Jeder, der Krieg gut findet ohne je Krieg erlebt zu haben, lebt hinter dem Mond.

Link zum Wikipedia-Eintrag zu Milvan Djilas

 

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