Wild Republic – Rezension

Es ist wenig sinnvoll, hier die Mängel der Serie aufzulisten. Sie gehört trotz aller Schwächen zu den gehaltvolleren Fernsehspielen, die der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk (mit)-produziert hat. Daher ist es sinnvoller, darüber zu schreiben, was sie zu denken gibt.

Ob von Goldings „Herr der Fliegen“ beeinflußt oder nicht: Die Serie führt vor Augen, wie eine Gruppe junger Menschen sich von der etablierten Zivilisation lossagt und ihren eigenen Weg zu ertasten versucht. Sie macht vorstellbar, was an Bereitschaften und Intuitionen zur Gemeinschaftsbildung in uns schlummert – verschüttet von den Formen, die unsere Zivilisation dafür entwickelt hat.

Maßgeblich für die Inspiration, die von der Serie ausgeht, ist die Leistung der jungen Schauspielleute. Soetwas habe ich in dieser Form im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk noch nicht gesehen: Eine ganze Gruppe junger Leute, die auf so hohem Niveau schauspielen! Sie bügeln mit ihrem Spiel aus, was das Drehbuch nicht leistet. – Die Erwachsenen in der kurzen Talkshow-Szene der ersten Folge klangen dagegen wie Schulfunk.

Gewünscht hätte ich mir, daß die Nebenhandlung mit der Sozialarbeiterin gestrichen worden wäre und stattdessen die Figurenentwicklung mehr Raum bekommen hätte. Die Nebenhandlung ist völlig entbehrlich, nur zu Unterhaltungszwecken hinzugegeben und auch in der Ausführung das übliche Krimigarn. Das gleiche gilt für die Komplikation mit den Terroristen. – Die Autoren hätten das nicht nötig gehabt. Ich frage mich, wieso sie riskiert haben, daß der Verdacht aufkommt, sie hätten sich nicht zugetraut, soviel Zeit mit einer überzeugenden Figurenentwicklung füllen zu können ohne langweilig zu werden. – Zumindest ist die Frage interessant: Was hätte denn dagegen gesprochen, die beiden Handlungsstränge zu streichen und sich auf die Hauptsache zu konzentieren?

Die Stärke der Serie liegt in der Darstellung der allgemeinen, „antropologischen“ Formen der Gemeinschaftsbildung. Der besonderen Darstellung von Jugendkriminalität sollte dagegen nicht zuviel Vertrauen geschenkt werden. Soetwas darzustellen ist schwer, und voraussetzungsvoller, als der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk bezahlen will. – Ich bin kein Fachmann, aber ich schätze, daß im Rahmen des Möglichen die Autoren da der Realität schon relativ nahe gekommen sind.

Keiner der Autoren muß ein Jack London sein, der jahrelang unter Leuten gelebt hat, unter denen es viele Kriminelle und Schwerkriminelle gab, und der kraft seiner überdurchschnittlichen Begabung eine „Antizipationsfähigkeit“ hatte, wie Goethe das ausdrückte, die London – wie z.B. in der Figur des „Seewolfs“ – gestattete, sich in Schwerkriminelle weit hineinzuversetzen ohne selbst so jemand zu sein. – Ohne solche Erfahrung und Begabung bliebe nur der Weg jahrelanger fokussierter Beschäftigung mit dem Thema, eingehendes Studium von Fachliteratur, ausgiebige Interviews mit Betroffenen und Experten oder mal ein mindestens 1-jähriges Praktikum in einer Einrichtung für kriminielle Jugendliche.

Am gelungensten scheint mir die Figur des Justin, bei der Bela Gabor Lenz auf so suggestiv-subtile Weise das Böse verkörpert, daß er aufpassen muß, vom deutschen Fernsehen nicht auf diese Rolle festgelegt zu werden.

Um das deutlich zu sagen: Wo die Qualität der Serie aus dem üblichen Angebot von ARD und ZDF herausragt, sagt das mehr über das übliche Angebot als über die Serie. Die Qualität dieser Serie sollte Minimal-Standart sein in einem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, nicht Festschmaus. – Ihre Mängel gehen am wenigsten auf das Konto der Macher. Denn jede Kunst ist nur so gut, wie sie Zeit und Förderung zur Entwicklung hatte. ARD und ZDF haben aber die Ansätze der Entwicklung einer eigenständigen Fernsehspielkunst vor fast einem halben Jahrhundert aufgegeben zu Gunsten von Machwerken, die Quote auch ohne Qualität einspielen.

Einen Platz zum Experimentieren, wie ihn manche Produzenten gefordert haben, wurde vom deutschen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk – dem teuersten der Welt –  offenbar nie eingeräumt. Meine diesbezüglichen Fragen an die Verantwortlichen wurden jedenfalls nicht beantwortet. Das läßt vermuten, daß nicht Rundfunkleute sondern Quotenfunktionäre das Ruder im Rundfunk übernommen haben…

ARD und ZDF müssen richtig aufpassen, wenn sie so gute Schauspielleute engagieren! Denn bei dieser Serie fällt auf, daß das Spiel besser ist als das Buch.

Ein Drehbuch sollte den Schauspielern gewachsen sein. Sonst ist es wie: einen Geiger von Weltrang zu engagieren, um auf dem Tanzboden aufzuspielen. – Wo gibt es denn sowas? Richtig: Im deutschen Fernsehen! Und dann werden die verantwortlichen Funktionäre wieder für Jahrzehnte darauf verweisen, daß ARD und ZDF Qualität hätten und ihrem Auftrag gerecht würden – dabei haben sie bloß mit viel Geld, das nicht das ihre ist, teuer eingekauft, aber dann mit der gekauften Qualität nichts Gescheites anfangen können, geschweige, das Geringste dafür getan zu haben, daß der Rundfunk selbst Qualität entwickelt.

Link zum Wikipedia-Artikel über die Serie

 

 

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