Nicht zuständig für die eigene Freiheit?

Wie wir und unser Rundfunk eine größere demokratische Reife erreichen können

 

(1)

Es gibt keine Institution, für die man nicht eine Liste von Ungereimtheiten und Absurditäten aufstellen könnte. Wir kriegen das Betreiben von Institutionen einfach noch nicht besser hin.

ARD und ZDF bergen trotz ihrer Fehlentwicklung ein großes Potential für Kultur und Demokratie. Der Rundfunk muß sich ändern, keine Frage. Aber nicht von heute auf morgen und nicht indem man ihm was wegnimmt. Für den Anfang würde es reichen, würde er ehrliche Bestandsaufnahmen und attraktive Perspektiven präsentieren statt der bisher üblichen mutlosen Flickschustereien, für die irgendwann gilt: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“. (Die Perspektiven sind das kleinere Problem. Ohne daß er erkannt hat, woran es liegt, daß der reichste Rundfunk der Welt nach 60 Jahren weiter denn je entfernt davon ist, die Qualität von Netflix-Serien zu erreichen, werden seine Perspektiven wie leere Versprechungen wirken – denn wie sollen wir ihm ohne Fehleranalyse glauben, es jemals besser zu können?)

 

(2)

„Selbstverständlich wehrt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk gegen Entwicklungen, die das verfassungsmäßig verbriefte Recht auf freie Berichterstattung auch nur ansatzweise in Frage stellen.“ – Das schrieben mir die Justiziare von ARD und ZDF. Meinen Vorwurf, sie hätten sich ein halbes Jahrhundert nicht gegen die vielen Politiker in den Aufsichtsgremien gewehrt, wiesen sie zurück: Es sei bis zum ZDF-Urteil ja nicht klar gewesen, ob das verfassungswidrig gewesen sei. Ich fragte nach, was der Rundfunk denn getan habe, um sich Klarheit zu verschaffen, die Fragwürdigkeit der Gremienbesetzung sei ja lange von Experten angemahnt worden. Ich erhielt keine Antwort.

Daß er für seine Freiheit selber zuständig ist, hat sich im Rundfunk offenbar auch noch nicht herumgesprochen. Denn als ein Ministerpräsident den ZDF-Chefredakteur entließ, hätte Intendant Schächter den Rechtsweg beschreiten können, tat es aber nicht (1). Und vor Gericht erklärte mir eine Juristin des RBB, dem Rundfunk stehe der Beitrag auch für die Zeit der verfassungswidrigen Gremien zu, denn die Rundfunkgesetze habe der Staat gemacht, dafür könne der Rundfunk nichts.

Allerdings hat sich der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk tatsächlich zweimal gegen Rundfunkgesetze gewehrt: gegen ein Gebührenfestsetzungsverfahren und gegen das Ansinnen einer CDU-Landesregierung, seine Aufgaben zugunsten privaten Rundfunks einzuschränken. – Wenn er sich hier gewehrt hat, warum nicht auch da? Hat er die Einstellung: „Solange ich meine Ansprüche durchsetzen kann, weil ich als frei gelte, ist mir wurscht, wie frei ich wirklich bin“? – Wenn´s um ihr Geld und ihre Größe geht, finden ARD und ZDF offenbar ganz schnell den Weg zu Gutachter und Gericht, wenn´s um ihre Freiheit geht nicht. Sie lassen die Butter ranzig werden, aber sie lassen sie sich nicht vom Brot nehmen.

 

(3)

Doch wir haben es hier nicht mit bewußten Intentionen zu tun, sondern mit einem Denkstil, einem Geflecht von undurchdachten Überzeugungen bezüglich wichtig und unwichtig, schlimm und nicht schlimm, in Ordnung und nicht in Ordnung: dumpfe, quasi axiomatische Vorstellungen, wofür der Rundfunk da ist, was man damit machen kann und was nicht, und vor allem: was man damit machen darf. Axiomatisch heißt: die eingelebten Richtigkeitsgefühle sind so selbstverständlich, daß niemand auf die Idee käme, daß sie alles andere als selbstverständlich sind. Sie sind in einem „naturwüchsigen“ evolutionären Prozeß entstanden, der – ohne von Vorsätzen gesteuert zu werden – bestimmte Überzeugungen sowie die Personen, die sie nicht hinterfragten, erfolgreicher machte als andere (2).

Denkstile sind nicht widerspruchsfrei: So soll z.B. die Finanzierung möglichst staatsfern sein, auch wenn das mit Ungerechtigkeit und juristischen Klemmkonstruktionen verbunden ist – aber daß es 50 Jahre lang von Ministerpräsidenten und Parteileuten in den Aufsichtsgremien nur so wimmelte, war egal. Das ist wie die Hygiene in einem Krankenhaus, in dem die Ärzte sich die Hände desinfizieren müssen wenn sie vom Flur aus den OP betreten, nicht aber, wenn sie vom Klo kommen. – Geltung qua Gewohnheit ist wie ungekämmtes Haar: man weiß nie, wie stark es sich beim Kämmen verknotet.

 

Exkurs zum Rundfunkbeitrag: Wir bezahlen für ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Soetwas kannten wir bislang nur von der Mafia. – Durch die nutzungsunabhängige Finanzierung bekommt der Rundfunk den Charakter einer Gemeinlast. Auch die reichhaltige heutige Medienlandschaft legt das nahe. Gemeinlasten sind einkommensabhängig zu erheben. Doch die mit einer derart einschneidenden Umstellung verbundenen Folgeprobleme scheuen Rundfunk und Politik offenbar. Deshalb konstruieren sie einen Beitrag für die Bereitstellung eines Angebotes, damit gelte: gleich begünstigt, gleich belastet. Das zersetzt die Rechtsstaatlichkeit, weil es den Eindruck erweckt, daß die Institutionen sich das Recht hinbiegen können, wie sie wollen. Das Recht wird instrumentalisiert, seine korrektive Funktion ausgehebelt.

Für Bürger, deren Einkommen knapp über dem Existenzminimum liegt, ist der Beitrag unverhältnismäßig: Viele Bürger, die im Niedriglohnsektor arbeiten, müssen 10–20% oder mehr von dem, was sie über dem Existenzminimum verdienen, für den Rundfunkbeitrag aufbringen. Die Last dieser mutlosen Entscheidung tragen wieder einmal die, die sich am wenigsten wehren können. „Feige“ nennt man solche Entscheidungen auf gut deutsch. – Wir Menschen dürfen feige sein – unsere Institutionen nicht. Wofür haben wir sie denn geschaffen? Weil sie gewährleisten sollen, was sonst wegen des Menschlich-Allzumenschlichen nicht gewährleistet wäre. Ein System von Institutionen, das feige Entscheidungen generiert, ist noch nicht hinreichend von unserer Klugheit durchdrungen. Exkurs Ende.

 

Exkurs zur Freiheit des ZDF´s vor 2016: „…jahrzehntelang fanden es alle, so wie es lief, normal. In Wahrheit war es irre“ (Claudia Tieschky, Süddeutsche) (3). – Inwieweit die Freiheit jetzt, nach der Umgestaltung der Gremien, größer ist, müßte eingehend untersucht werden; ebenso: inwieweit die Entwicklung der Anstalten durch indirekte politische Einflußfaktoren beeinträchtigt wurde. – Viele Politiker fanden den ihnen gesetzlich eingeräumten Einfluß nicht in Ordnung (4). Das legt nahe, die Vorstellung, eine gewisse Beeinflussung sei erlaubt, nicht Personen zuzuschreiben, sondern dem Denkstil.

Eine Untersuchung zur Entlassung von Chefredakteur Brender, erbrachte folgende Ergebnisse und „Zeugnisse“ (6):

Die Zahl der Gremienmitglieder, die de facto den Parteien zugerechnet werden müssen, ist nach wie vor höher, als vorgesehen, weil viele Parteiaktive nicht für die Partei sondern für „gesellschaftliche Gruppen“ in den Gremien sitzen, z.B. für den Bund deutscher Industrie. Die Parteileute organisieren sich in „Freundeskreisen“ und sprechen sich dort ab. „Die Parteien besitzen dadurch einen Einfluß bei der Rundfunkkontrolle, der über die Zahl ihrer nominellen Vertreter hinausgeht“ (166). Auf diese Weise wurde z.B. eine Anhörung des Chefredakteurs zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen verhindert, weil Ministerpräsident Koch die Sitzung unterbrach und seine Parteileute auf Linie brachte (170). – Ein politisch hochrangiges Gremienmitglied meinte dazu: „Wenn der Intendant sagt: Ich habe hier einen Chefredakteur, der mein Vertrauen hat, der das gut macht und der bleiben soll, und dann der Verwaltungsrat aus nicht nachvollziehbaren Gründen sagt, „Nee, den Vertrag genehmigen wir aber nicht“, dann halte ich das schon für ein problematisches Vorgehen, was insgesamt die politischen Gremien beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk diskreditiert“ (181).

Laut Aussage eines ZDF-Internen hatte die Parteipolitik Einfluß auf die ZDF-Personalstruktur, „bis auf die Ebene der Redaktionsleiter“ (174).

Viele Befragte hätten darin übereingestimmt, daß „einzelne Journalisten ihre Berichterstattung so ausrichteten, dass bestimmte Personen bzw. bestimmte Themen regelmäßig positiv hervorgehoben würden … Ein CDU-naher Verwaltungsrat sprach im Zusammenhang mit dem Versuch, Journalisten politisch zu beeinflussen von „Normalität“ (156) . – Ein ZDF-Interner : “Das war vollkommen klar, daß gewisse … Leute selbstverständlich im Zweifel die Loyalität zu ihrer Partei für wichtiger hielten und auch wichtiger nahmen als die Loyalität oder ihre journalistischen Verpflichtungen gegenüber dem Programm und der Öffentlichkeit. Wie gesagt, wir haben es hier nicht mit irgendwelchen – man sagt, man hört – Gerüchte, nein, dies war völlig klar, und so funktionierte das System“ (175).

Andere Aussagen bestätigten, Journalisten könnten „unter Druck gesetzt werden … im Hinblick auf ihre Reputation und ihre beruflichen Perspektiven“ (181), und es gebe Möglichkeiten der Karriereplanung durch Gefälligkeiten für Politiker (186). – Ein Experte sah darin den Grund für die Entlassung Brenders, weil „ …er es nicht zugelassen hat, dass Journalisten sich durch die Politik unmittelbar instrumentalisieren lassen. Also diese Vorsager, die ihre Berichterstattung an bestimmten Themen so ausrichten, dass die Politik, bestimmte Seiten, gut durchkommen… das war sein eigentlicher Verstoß gegen das Comment, und dafür mußte er abgestraft werden“ (196).

Weitere Einflußmöglichkeiten benennt ein Gremienmitglied: „Ob da nun sich ein gewichtiger Leiter einer bedeutenden Staatskanzlei zu Wort meldet und … der Intendant möglicherweise mit Liebesentzug rechnen muß, wenn es um Dinge geht, wo man wieder die Unterstützung des Ministerpräsidenten braucht… Ja ich glaube schon, daß das eine Rolle spielt, ohne daß man das genau abmessen kann, das ist mehr ein Abschätzen, ein Beurteilen, manchmal auch nur ein Gefühl. Und ich habe in den zurückliegenden Jahren mit Schächter Vier-Augen-Gespräche geführt, da merkt man schon, wie bedeutsam die Positionen der Leiter der Staatskanzleien – und die beeinflussen dann auch wieder die Positionen ihrer Ministerpräsidenten – sind… Denn vieles, was das ZDF in seinen ureigensten Interessen berührt… wird auf der Ebene der Ministerpräsidenten geregelt. Sind ja nicht nur die Gebührenfragen“ (184).

Politik und Rundfunk hätten ein Zeichen setzen können, wenn sie bis zur Neuaufstellung der Gremien mit der Einführung des Beitrags gewartet hätten, denn der Beitrag stellt wegen seiner Unausweichlichkeit höhere Anforderungen an die Legitimität. So schaden sie ihrer Glaubwürdigkeit ein weiteres Mal. Die Botschaft ist: Mogeln Institutionen, brauchen sie keine Konsequenzen zu fürchten.

Gegen die jetzigen Besetzungsvorschriften für die Gremien gibt es weiterhin verfassungsrechtliche Bedenken (7). Prinzipiell verwundert es, daß eine Form der Aufsicht, die vor mehr als einem halben Jahrhundert in einer völlig anderen Medienlandschaft mal ausgedacht und nie evaluierte wurde, überhaupt noch als zureichende Aufsicht gilt. – Die Vertreter der „gesellschaftlichen Gruppen“, die in den Gremien zusammensitzen, haben nie systematisch Belege für die Qualitätsentwicklung gefordert. Wir müssen davon ausgehen, daß Interessen und Horizont der entsendenden Gruppen solche Forderungen auch nicht motivieren. – Wollen wir angesichts der manifesten Fehlentwicklungen des Rundfunks die Belege, wo sie tatsächlich noch Schlimmeres verhindert hat, als zureichenden Grund gelten lassen, nicht über eine grundlegende Umgestaltung der Aufsicht nachdenken zu müssen? (8) Exkurs Ende.

 

(4)

Der Gründer des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks, Hugh Carlton Green, überlieferte: Nach einer Mahnung, den Rundfunk von Parteieneinfluß frei zu halten, habe ihm der Hamburger Bürgermeister feindselig zugeraunt: „das wird Ihnen nicht gelingen“. – Und eine der ersten CDU-Landesregierungen erstrebte, auf den Rundfunk „maßgeblichen Einfluß in … propagandistischer Hinsicht“ zu bekommen (9).

Das ZDF-Urteil offenbart einen generationenübergreifend eingelebten Mangel an 
Unrechtsbewußtsein bezüglich des Antastens der Rundfunkfreiheit.

Es wäre zu erwarten, daß ein freier Rundfunk eine Erklärung abgibt, was er zu tun gedenkt gegen die Dickfälligkeit, die ihm ein halbes Jahrhundert gestattete, eine verfassungswidrige Gremienverfassung zu dulden. Ohne Erklärung müssen wir davon ausgehen, daß die Verflechtung von Rundfunk und Politik immer noch so konstitutiv ist, daß es gar keine Instanz im Rundfunk gibt, die für eine solche Stellungnahme gleichzeitig unabhängig und repräsentativ genug wäre.

(4.1) Wenn es bezüglich des Parteieneinflusses an Unrechtsbewußtsein gemangelt hat, wo sonst noch? Kann man einem Rundfunk, der ein halbes Jahrhundert nichts dabei fand, von Parteien beeinflußt zu werden, zutrauen, etwas dabei zu finden, wenn er seinem Auftrag nicht gerecht wird? Z.B. bezüglich der Aufgabe, anspruchsvolle Entwicklungen zu fördern, die dazu führen, daß er Quote mit Qualität erzielen kann statt mit Einkauf teurer Sportrechte und Quotenclowns und mit Nachäffen von Formaten des privaten Rundfunks?

Angesichts der Gleichförmigkeit vieler der 80 Programme und ihrer Sendungen, scheint es, als hätten ARD und ZDF Vielfalt mit Vervielfältigung verwechselt. Die Grundversorgung ist keine: Wie jemand, dem Obst und Gemüse zu teuer sind, weil er sich mit Billigfleisch fett frißt, so behauptet der Rundfunk, er könne keine qualitativ hochwertigen Serien produzieren, dazu fehle das Geld (10). – Er besteht vehement darauf, man dürfe ihm nicht die Schlagerparaden wegnehmen und zieht für diese Freiheit sogar vors Verfassungsgericht (s.o. Pkt. 2) – aber Qualitätsserien überläßt er freiwillig anderen.

(4.2) Es wird immer beteuert, daß doch alles gut sei, weil über 80 % der Bürger Vertrauen in ARD und ZDF hätten. Aber die Qualitätsdefizite machen es fraglich, ob ARD und ZDF dem Vertrauen der Bürger gerecht werden. Und was ist schon geschenktes Vertrauen gegen verdientes? Die populistische Form der Terrorberichterstattung z.B.: Suggestiv übersteigerte sie maßlos das Risiko, Opfer eines Terroranschlags zu werden. Wenn Frau Mioska in den Tagesthemen behauptet, Deutschland werde „massiv vom IS bedroht“, ist das faked reality ganz ohne fake news. – Was eigentlich schon vorher klar war, ist nun nachgewiesen: Der „Medienhype“ um die Anschläge, den ARD und ZDF maßgeblich mitgemacht haben, hat zur Motivation von Amokläufen beigetragen (11). ARD und ZDF sind – in Tateinheit mit den anderen Medien – nicht gänzlich unschuldig an der Zahl der Terroranschläge in Europa. – Über die wirklich hohen Lebensrisiken, denen Jahr für Jahr Hunderte zum Opfer fallen, wie z.B. durch Alkohol am Steuer, informieren ARD und ZDF dagegen so gut wie nicht. (Aktuelle Zahlen zu Personenschäden durch Alkohol am Steuer: gibt es hier.

Exkurs: Die Sendung „Der 7.Sinn“, die über Risiken im Verkehr aufklärte, wurde 2005 eingestellt. Trotz Forderung von Experten gibt es kein Nachfolgeformat, man fürchtet schlechte Quote (12). – Für Themen wie: Unfallrisiken, Unfallphysik, Unfallpsychologie, soll es kein quotenträchtiges Format geben? Das wirkt einfallslos. – Doch selbst wenn, was ist das denn für ein Argument: „Die zappen dann sowieso weg!“ Sollen sie doch! Selber schuld! Ein freier Rundfunk muß den Schneid haben, zu sagen: „Die und die Sendungen produzieren wir, weil sie notwendig sind, ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk muß solche Sendungen produzieren, und wenn keiner von euch das in Anspruch nimmt, blöd für euch, aber es geht einfach nicht, daß ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk über soetwas nicht informiert!“ – Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist selbstverständlich, daß solche Quotenignoranz nicht die Regel sein darf! Aber sie darf die Ausnahme sein und muß es sogar! (Exkurs Ende.)

Bei 80% Vertrauen ist Nicht-Senden auch eine Botschaft: „Was im Ersten und Zweiten nicht vorkommt, wird wohl auch nicht so wichtig sein.“ Da geht es dann schon nicht mehr darum ob das Vertrauen verdient ist sondern ob es verletzt wird… – Auch die Berichterstattung zur Griechenlandkrise bewerten Experten als an der Grenze zur Desinformation (13). – Und die Talkshows zur Rußlandkrise glänzten durch tendenziöse Titel, aber es wurde nichts berichtet über einen Aufruf, in dem Helmut Schmidt, Hans-Dietrich Gentscher und andere „elder statesmen“ vorurteilsfreie Berichterstattung anmahnten. Wollte man die übliche Fußball- und Krimi-Dosis für die Zuschauer nicht runterfahren (13) oder den Regierungskurs nicht in Frage stellen? (14) – Sogar der ehemalige ARD-Chef Pleitgen kritisierte die Tagesschau, weil sie lieber Deutsches statt Relevantes bringe (15). – Selbst falls Bürger dem Rundfunk vertrauen, weil sie zufrieden mit ihm sind, sagt das soviel über seine Qualität wie die Nettigkeit eines Zahnarztes über die Solidität seiner Arbeit.

Vertrauen verpflichtet den Rundfunk, sich so zu qualifizieren, daß er dem Vertrauen gerecht wird: dem Glauben, etwas zu bekommen, was sein Geld wert ist, was man so mit dem zur Verfügung stehenden Budget wirklich nicht besser machen könnte, etwas, das über alles Relevante richtig informiert, ohne Übertreibungen oder Entstellungen, und nichts Relevantes aus Opportunität ausläßt, aus Gefälligkeit vorenthält oder wegen Beschränktheit gar nicht erst mitkriegt.

(4.3) Man könnte die Qualität, die für die Existenzberechtigung des Rundfunks notwendig ist, gesetzlich einklagbar machen, damit würde aber eine Möglichkeit eröffnet, der Rundfunkfreiheit mißbräuchlich durch Gesetzgebung reinzuregieren. Deshalb geht das Rundfunkrecht davon aus, daß bei einem freien Rundfunk die notwendige Qualität von allein entsteht: „Die Rundfunkfreiheit … gewährleistet, daß Auswahl, Inhalt und Gestaltung des Programms Sache des Rundfunks bleiben und sich an publizistischen Kriterien ausrichten können. Es ist der Rundfunk selbst, der aufgrund seiner professionellen Maßstäbe bestimmen darf, was der gesetzliche Rundfunkauftrag in publizistischer Hinsicht verlangt“ (16). – Interessanterweise interessiert niemanden den Umkehrschluß: Wurde nachgewiesen, daß der Rundfunk nicht so frei war, wie er sollte, müßte konsequenterweise untersucht werden, welche Auswirkung das auf seine Qualitätsentwicklung gehabt hat: Welche Ideen und Einwände hatten keine Chance, sich gegen politisch bedingte Interessen und Ignoranzen durchzusetzen? Und welche selbstverstärkenden Degenerationseffekte erwuchsen aus diesem Mangel an Sachlichkeit im Laufe der Zeit? – Sich über Umkehrschlüsse keine Gedanken zu machen, ist Schluderei. Jeder Arzt könnte dafür wegen grober Fahrlässigkeit belangt werden. – Würde eine Gruppe wirklich freier professioneller Publizisten, die den Auftrag bekommen, Fernsehen für alle zu machen, bei einem Altersdurchschnitt von 61 Jahren landen?

Außer den bereits zitierten Journalisten Herles und Bertram beklagen auch andere renommierte Rundfunkfunktionäre und Fernsehjournalisten seit Jahrzehnten den Abbau von Qualität. Das macht nicht den Eindruck, daß sich da etwas frei entwickeln konnte, rein nach Maßgabe publizistischen Sachverstandes:

Luc Joachimsen, ehemals Fernseh-Chefredakteurin HR, äußerte über Talkshows: „Dem Zuschauer wird vorgemacht, daß er an einem wichtigen politischen Diskurs teilnimmt, weil …wichtige Politiker in der Runde sitzen… und…die nicht gestellten Fragen und nicht gegebenen Antworten… im allgemeinen … Durcheinanderreden nicht auffallen“ (17). –

Norbert Schneider, ehemaliger SFB-Programmdirektor, moniert einen Mangel an „Profis für die Kultur … speziell solche für das Fiktionale“: „Wie sollen Intendanten sich für eine über lange Zeit gehende Drehbuchentwicklung … einsetzen, wenn ihnen dieses Gebiet mit seinen Verfahren und seinen Widrigkeiten und seinen Kosten fremd ist? Vom Personal und von den Stoffen ganz abgesehen. … Und wo ist eine Politserie, wie sie uns nicht nur die Amerikaner, sondern längst auch Schweden und Dänen vormachen?“ (18) –

Klaus Bednarz: „sehenden Auges werden Berufsbilder kaputt gemacht“ (19) –

Günter Rohrbach, langjähriger Fernsehspiel-Chef im WDR: „Das fundamentale Problem der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten ist es, dass sie die Redakteure in den zurückliegenden Jahrzehnten systematisch entmachtet haben. Aus dem … Redakteursfernsehen ist das Intendantenfernsehen geworden.“ (20) –

Redakteure entmachtet? Wenn das stimmt, wären ARD und ZDF intern erdoganisiert…

(4.4) Es scheint, als sei das, was ARD und ZDF an ihrem Angebot für gut genug halten, identisch mit dem, was daran für die Parteipolitiker gut genug ist. Das erhärtet die Vermutung eines unintendierten, evolutionär entstandenen politisch-medialen Komplexes. Dem widerspricht nicht, daß die Politik nicht in einzelne Redaktionen direkt reinregiert.

Der Rundfunk muß auf indirekte Einflüsse untersucht werden, vor allem bezüglich der Vergangenheit: Wir müssen wissen, ob wegweisende sachliche Entscheidungen nicht getroffen wurden und welche Strukturen dafür verantwortlich waren. Wir brauchen eine Erklärung für die Vervielfältigung und Beschränktheit.

Für Experten ist es unfaßbar, was den Deutschen allabendlich vorenthalten wird an breitenwirksamer, spannender, gehaltvoller, informativer und künstlerisch qualifizierter Unterhaltung (21).

Klaus von Bismarck, WDR-Intendant von 1961-1976, äußerte 1985: „Unter dem Druck der politischen Parteien sind inzwischen in fast allen Rundfunkanstalten Tendenzen zur Anpassung an gängige Mehrheitsströmungen erkennbar. In gleichem Maße ent-schwindet der Mut zum Risiko, zum Vertreten einer unbequemen Meinung“  (22).

Möglicherweise ist die Politik an der Rundfunkdegeneration ja auch unschuldig, und sie geht nur auf das Konto unzureichender Austauschprozesse zwischen Rundfunk und Gesellschaft. Offenbar kam bisher niemand auf die Idee, den Austausch zu verbessern. Dabei war doch klar: Auf unserem Stand der zivilisatorischen Entwicklung kann man Institutionen noch nicht alleine lassen…

 

(5)

Unter den gegebenen Bedingungen hätte nur eine Riege von Helden und Heiligen einen wahrhaft Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk schaffen können. – Doch es gilt Brechts Diktum: „Traurig ein Land, das Helden nötig hat“.

Exkurs: Der Bedarf an Helden und Heiligen: (23) Die Parteipolitiker fühlen sich ihrer Partei verpflichtet. Doch sie sollen „eigentlich, wenn sie im Verwaltungsrat sitzen, diese enge Bindung vergessen“ (172). Tatsächlich entsteht aber Gruppenzwang: „Du bist auf unserer Liste hier drin, also muß du auch so stimmen!“ (173) – Dennoch stimmten auch immer wieder einige gegen ihre Parteilinie, gestanden aber später, dazu „gehöre Mut“ (174). – Mut brauchen laut Experten auch Rundfunkleute: „Ich glaube…, daß robuste … Führungspersönlichkeiten in den Sendern viel politische Einflußnahme von vornherein abwehren können“ (215). – „… es gibt den informellen Einfluß der Politiker, die gar nicht in den Gremien sitzen, der ist manchmal größer als derer, die in den Gremien sitzen. Und dann kommt es auf die Eigenständigkeit sowohl des Intendanten an, als auch der leitenden Redakteure und Direktoren“ (154). (Exkurs Ende)

Bedarf an Heldentum ist immer ein Zeichen für Unklugheit im Gesamtsystem. – Geht das Gute nicht leicht, sollten nicht die Anstrengungen verstärkt sondern die Gewichte verschoben werden. – Was müßte sich dafür ändern? – Der Austausch (s.u. Pkt.6). – Und die Anreize: Orden gibt es bloß für Quote. Einsatz für Freiheit und Qualität wird nicht belohnt, im Gegenteil: Verbesserungen bezüglich Freiheit und Qualität sind nicht belegbar und fallen nicht auf. Um sein Geld zu kriegen braucht der Rundfunk nicht mehr an Freiheit und Qualität, als er hat. Da gibt es bloß Ärger, wenn sich jemand von den Rundfunkleuten für Freiheit und Qualität mehr engagiert, als es möglich ist, ohne jemanden zu beunruhigen.

Herles schreibt (24): „Wer im Quotenrennen mithalten kann, braucht sich für gesenkte Ansprüche nicht zu rechtfertigen. Rechtfertigen muß sich nur der, der seine Quotenvorgaben nicht erreicht“. – „In den Sendern wird nicht mehr über das Programm gestritten. So bewirken die Zahlen … den Konformismus des Denkens. Warum gibt es unter den zahlreichen Programmdirektoren, Chefredakteuren, Intendanten keinen, der gegen den Quotenwahn aufbegehrt? Weil niemand mehr Intendant, Chefredakteur oder Programmdirektor wird, der sich dem Dogma der Quote widersetzt. … Die Debatten in den meisten Redaktionskonferenzen sind bestürzend ärmlich geworden, weil es nur noch darum geht, wie Sendungen „funktionieren“. Der Quotendruck hat sich inzwischen stark ins Bewußtsein der Fernsehschaffenden gefressen. Die meisten … sind keine Quotenjunkies, akzeptieren aber den Quotendruck. Der Quotenwahn macht es gerade den Besten und Kreativsten schwer. Journalistisches Ethos, Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit zahlen sich nur noch selten aus“ .

Wir brauchen ein Monitoring bezüglich Freiheit und Qualität des Rundfunks!

5.1 Freiheit: Rundfunkfreiheit ist noch nie operationalisiert worden: Welche Strukturen der Organisation, der Aufsicht und des Austauschs erhöhen oder verringern die operativen Freiheitsgrade des Rundfunks? – Es müßte rekonstruiert werden: Welche faktischen Unfreiheiten gab es und welche Fehlentwicklungstendenzen wurden dadurch begünstigt?

5.2 Qualität: Über Geschmack läßt sich streiten, über Qualität nicht. Form und Gehalt einer Produktion sind diskutierbar: Muß in einem Fernsehspiel drangeschrieben werden, „dies ist ein guter Chef“ oder zeigt es sich, weil es paradigmatische Beispiele guten Führungsverhaltens darbietet (wie z.B. in der „Star Treck“-Serie mit Patrick Steward)? (25) – Gibt es nur Wiedererkennungs- und Bestätigungseffekte oder werden neue Zusammenhänge gestiftet? – Sind Sprach- und Ausdrucksverhalten der Schauspieler vorhersagbar oder lebendig? – Wird vulgarisiert, d.h. das Interesse nicht aus der Sache selbst sondern aus der Art ihrer Darstellung gezogen, wird z.B. nicht die Faszination an den Kunstwerken eines Malers vermittelt sondern ein Krimi erzählt über die Recherchen zur Identifizierung seiner mysteriösen Geliebten? (26) – Wird mit schnellen Schnitten bloß gereizt, nach dem Motto von Goethes Intendantenkarikatur: „Versuche nur, sie zu verwirren, sie zu befriedigen ist schwer“ – oder gestattet die Darbietung Erlebnisse: etwas, das Gemüt, Gefühl und Fantasie über die Darbietung hinaus beschäftigt, weil es trifft, anregt, inspiriert?

Zitat Herles (27): „Es gilt offenbar als ausgemacht, daß Jüngere weniger interessiert seien an Politik, Wirtschaft und Kultur, was zu bezweifeln ist. Programme sind für Zuschauer aller Generationen attraktiv, wenn sie abwechslungsreich, überraschend, anregend sind, statt routiniert, altbacken und mutlos. Es fällt zum Beispiel auf, daß in Deutschland kaum fiktionale Programme mit politischen Inhalten produziert werden. … Nun dreht die ARD Die Stadt und die Macht. Regisseur Christoph Fromm konstatierte: „Wir könnten weiter sein auch im internationalen Vergleich – wenn es mehr Freiheit gäbe“.

Weiter schreibt er: „Die Intendanten halten den Vorwurf, Information und Bildung kämen bei ARD und ZDF unter die Räder, für abwegig. Gemessen in Sendezeit entfällt auf Nachrichtensendungen, Dokumentationen, Reportagen, Magazine, eine Flut von Talkshows und natürlich auch Bourlevardformate… – also alles, was als „Information“ gilt – etwa die Hälfte der Sendezeit. … Mit dieser Zahl geben sich die Aufsichtsgremien, aber auch Medienkritiker und Medienwissenschaftler meist zufrieden. Viel zu wenig wird über den Substanzverlust dieser Genres diskutiert“.

Zu den Dokumentarfilmen schreibt Herles: „Immer kräftiger muß gesalzen werden. Als Geschmacksverstärker wird …Musik in die Instantsuppe gekippt. Ob Geschichte oder wilde Tiere: Keine Doku ohne penetrante Dauerbeschallung. Selbst während gesprochen wird, wabern fette Klangwolken. … Atemlos schnell geschnitten sind die meisten Dokus und zugetextet mit atemberaubend schlichten Sätzen“..

Hat sich der Rundfunk jemals darum gekümmert, eine Fachdiskussion zur Frage der Objektivierbarkeit von Qualität anzustoßen? Gab es dazu Gutachten und Forschungsaufträge? Und wenn ja, wie wurden die Ergebnisse umgesetzt? Gab es systematische Serien von professionell ausgewerteten und variierten Experimenten, in denen versucht wurde, qualitativ hochwertige breitenwirksame Attraktoren zu entwickeln? – Gab es das alles nicht, zeigt das eine Leichtfertigkeit und Ignoranz bezüglich der Auftragserfüllung, die strenggenommen unrechtlich ist.

Daß ARD und ZDF eine bestimmte Quote brauchen, ist selbstverständlich. Doch daß Quote ohne Qualität nicht zählt, ist ebenso selbstverständlich. Der Rundfunk stellt seine Dequalifizierung immer als verantwortungsethische Notwendigkeit dar: Besser die Leute schauen ein wenig Schund hier als viel dort. Aber so einfach ist Verantwortungsethik nicht (28). Seine Rechnung wird zur Ideologie, wenn der Rundfunk sich nicht systematisch für die Entwicklung von Qualitätsquote engagiert. – Wollen wir wirklich darauf warten? Oder ihm helfen?

Exkurs: Vor Gericht hatte ich argumentiert: Wenn die Beitragspflicht sich aus der Nützlichkeit des Rundfunks ergebe, müsse es für den Rundfunk auch eine Pflicht geben, zu evaluieren, ob er nützlich genug sei, um eine Beitragspflicht zu begründen oder ob Nachqualifizierungsbedarf bestehe.

Eine Evaluationspflicht sei nicht ersichtlich schrieb die Richterin ohne weitere Begründung. Der begründungslose Bezug auf das „Ersichtliche“ offenbart den Denkstil. Seine Botschaft ist: „Unser Gemeinwesen ist doch gut aufgestellt! Wir haben doch genug Aufsicht und Korrekturinstanzen! Und da wird auch der Rundfunk gut genug sein, so lange er als gut genug gilt! Was soll da noch so viel Aufwand und Verunsicherung, das bringt doch nix!“

Das Vertrauen ins Bestehende ist gut, aber trügerisch. Es ist immer die Frage: Woran ist erkennbar, daß mal darüber nachgedacht werden sollte, ob mal nachgedacht werden sollte? Eine Evaluation würde Indikatoren dafür beschaffen.

Wollen wir wirklich Blindflug ohne Instrumente? Zumal bei einer Institution, in der ein halbhundertjähriger Pfusch aufgeflogen ist?

Wie relativ Denkstile sind, zeigt sich daran: In der Schweiz gibt es längst eine unabhängige Rundfunkevaluation (30). – Die Rundfunkrechtsprechung täte dem Rundfunk keinen Gefallen, ihn dauerhaft von Evaluation freizusprechen. Das würde nur den Eindruck verstärken, es verhalte sich mit ihm wie mit einem Restaurant, das den Mann vom Gesundheitsamt nicht reinläßt. Exkurs Ende.

 

(6) Eine Idee für die Demokratie der Zukunft:

Demokratie heißt: Die Bürger müssen für sich selber sorgen. – Wir haben eine reine Delegationsdemokratie. Ideen, Wissen und Lebenserfahrung der Bürger können nur rudimentär korrektive Funktionen für die Institutionen ausüben, denn keine Institution kann einzelnen Bürgern zuhören und Rede und Antwort stehen. – Der nächste Entwicklungsschritt könnte sein: daß die Delegationen flankiert werden von Bürgerräten, die in der Öffentlichkeit eine unignorierbare Stimme haben. Jeder Bürger, jede Bürgerin wird sich mindestens in ein Thema einarbeiten und in Diskussionen einbringen. Die von den Bürgerräten geschaffene informationelle Infrastruktur wird es ermöglichen, daß 2 bis 3 Stunden Zeitaufwand pro Woche dafür ausreichen. Dann wird Demokratiepflege für alle so selbstverständlich sein wie Körperpflege.

Anders als Bürgerinitiativen treten die Bürgerräte nicht für Interessen ein, sondern recherchieren, klären auf, geben Rückmeldungen, kritisieren, stellen Fragen und entwickeln Ideen. Sie behaupten nicht: „Wir sind das Volk“, sondern bemerken bloß: „Wir haben da noch eine Frage“.

Der Journalismus wird der professionelle Erheber von Information bleiben. Aber Politik, Recht, Rundfunk, Verwaltung und Wirtschaft werden sich ganz anders der Öffentlichkeit stellen müssen. Die Delegation von Öffentlichkeit an den Journalismus begrenzt aufgrund der medialen Eigendynamik das Nachhaken und Dranbleiben. „In drei Monaten wird es deutlich ruhiger werden“, zitierten Journalisten unter dem Stichwort „Aussitzen als Methode“ die Worte eines Rundfunkpolitikers zu den kritischen Reaktionen nach der Einführung des Rundfunkbeitrags (29).

Spätestens die Erfolge der AfD zeigen, wie naiv es ist, zu glauben: Was die Zeitläufte unter den Teppich kehren, darüber kann keiner mehr stolpern. – Die Institutionen schaden sich mit ihrer kalkulierten Ignoranz selbst. Und die Journalisten schaffen es offenbar alleine nicht, ihnen einen Strich durch die Rechnung zu machen.

Unsere Demokratie braucht einen Strukturwandel der Öffentlichkeit (31).

Einzukalkulieren, daß der Medienrummel sich verflüchtigt, könnten die Bürgerräte unmöglich machen. Jede Ungereimtheit wäre nur wenige gezielte Klicks entfernt. – Wollen wir das schon mal üben an einem Rat für den Rundfunk? Dann werden ARD und ZDF im Volksmund vielleicht irgendwann so heißen, wie sie es sich längst verdient haben könnten: „Der Bürgerrundfunk“… (32)

Friedrich Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, § 251: „Sein Recht nicht geltend machen. – Macht ausüben kostet Mühe und erfordert Muth. Deshalb machen so Viele ihr gutes, allerbestes Recht nicht geltend, weil diess Recht eine Art Macht ist, sie aber zu faul oder zu feige sind, es auszuüben. Nachsicht und Geduld heissen die Deckmmantel-Tugenden dieser Fehler.“

(Hinzuzufügen wäre: Wenn der faulen Geduld dann der Faden reißt, verwandelt sich Nachsicht in Ressentiment. Doch zerschlagen, um was man sich nie zu kümmern gewußt hat, ist dumm! Denn was danach kommt wird von selbst auch nicht besser… )

 

Zusammenfassung

Eine grundlegende Reformation des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks könnte seine Potentiale auf einem weit höheren Niveau entbinden und breitenwirksam das Informationsniveau der Deutschen heben, ihren Geschmack bilden und ihr Denken differenzieren – und das alles mit mehr Spaß dabei als jetzt.

Ohne Reformation droht eine Beschneidung des Erreichten mit einem Verlust an Bedeutung, oder gar ein Zerschlagen in Privat- und Staatsfunk.

Das, was wir von der Institution bisher erlebt haben, lädt nicht dazu ein, ihr zuzutrauen, sich selbst gemäß des historisch Erforderten zu reformieren. – Angesichts der Fehlentwicklungen des Rundfunks gilt für die Rundfunkaufsicht im Ganzen das Gleiche – trotz unzweifelhafter Verdienste im Einzelnen.

Die Presse allein kann gegen die kalkulierte Ignoranz der Institution nicht genug ausrichten.

Wenn wir Bürger einen besseren Rundfunk wollen, müssen wir uns selbst drum kümmern, z.B. indem wir ein Forum bilden, das in der Öffentlichkeit unüberhörbar ist und nicht nachläßt, Fragen zu stellen und Belege zu fordern.

 

Nachweise

1 Spiegel online, 12.10.2009, http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-67282883.html
2 Ludwik Fleck, einer der Pioniere der modernen Wissenschaftstheorie schreibt: „Der Denkstil besteht … aus einer bestimmten Stimmung. …sie ist Bereitschaft für selektives Empfinden… Zugehörig einer Gemeinschaft erfährt der kollektive Denkstil die soziale Verstärkung … die allen gesellschaftlichen Gebilden zuteil wird. … Er …bestimmt, was nicht anders gedacht werden kann. … Die organische Abgeschlossenheit jeder Denkgemeinde geht parallel einer stilgemäßen Beschränkung der zugelassenen Probleme: es müssen immer viele Probleme unbeachtet oder als unwichtig oder sinnlos abgewiesen werden“. – Aus: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache, (1935), Frankfurt a.m. 1980, S. 130 u.137
3 zitiert nach Wagner, Inga, Informelle politische Kommunikation, Eine Rekonstruktion des Falls Nikolaus Brender, Berlin, Wiesbaden 2016, S. 15
4 Wagner (Anm.3), 185
6 Alle Seitenzahlen beziehen sich auf Wagner Anm. 3
7 BVerfG, 1 BvF 1/11 vom 25.3.2014, 115ff (Minderheitenvotum von Richter Paulus)
8 Einen Eindruck von Stärken und Schwächen der Gremienarbeit vermittelt: Heide Langguth: „… Kontrolle ist besser“ – aber wie? Zur Rolle und Funktion der Rundfunkräte, in: Franz Werneke (Hrsg), Die bedrohte Instanz. Positionen für einen zukunftsfähigen Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk, ver.di 2005.  file:///C:/Users/t60p/Downloads/Die_bedrohte_Instanz_WEB%20(2)%20(1).pdf
Meine eigenen Recherche-Ergebnisse dazu: https://www.goethesfaust.com/vernunft-wird-unsinn-wohltat-plage/
9 Bertram, Jürgen, (langjähriger ARD-Korrespondent), Mattscheibe, Das Ende der Fernsehkultur, Frankfurt a.M. 2006 S. 19f und 23
10 Spiegel 2/2013, Spiegelgespräch mit Lutz Marmor, ehemaliger ARD-Vorsitzender
11 Zumindest die Deutsche Welle hat diesen Zusammenhang verstanden:
http://www.dw.com/de/je-mehr-terror-berichterstattung-desto-mehr-terroranschl%C3%A4ge/a-40315360
Dazu auch:Herles (Anm.13) 137. – Und mein Beitrag anläßlich des Terrorsanschlags in Berlin 2016: https://www.goethesfaust.com/sicherheitsbedenken/.
12: https://www.derwesten.de/auto/experten-fordern-von-ard-rueckkehr-von-sendung-der-7-sinn-id11591812.html
13 Herles, Wolfgang, (renommierter Fernsehjournalist des ZDF), Die Gefallsüchtigen, München 2015, zur Griechenlandkrise: 48f u.142, zur Rußlandkrise: 48 u. 108f. Weitere Hinweise auf defizitären Journalismus: 36f und 209f.
14 Den Eindruck, daß ARD und ZDF sehr regierungsnah berichten erhärtet eine Studie der Uni-München: Daria Gordeeva: Russlandbild in den deutschen Medien – Deutschlandbild in den russischen Medien. Konstruktion der außenpolitischen Realität in den TV-Hauptnachrichtensendungen. Münchener Schriften zur Kommunikationswissenschaft, Nr. 8. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2017. https://medienblog.hypotheses.org/1001
15 Pleitgen: Spiegel 20/2012 S. 147.
16 BverfG, Urteil vom 22.2.94
17 zitiert nach Bertram (Anm.7) S. 183 – Ausführliche Kritik an Talkshows bei Herles (Anm.11) S. 46 – 55
18 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/oeffentlich-rechtliches-fernsehprogramm-das-fiktionale-muss-auf-platz-eins-stehen-12271421.html –
19 zitiert nach Bertram (Anm. 7) S. 207
20 http://www.sueddeutsche.de/medien/zur-misere-der-oeffentlich-rechtlichen-das-problem-heisst-intendantenfernsehen-1.1170662
21 s. z.B. das Gespräch von M.Reich-Ranicki mit Gottschalk: https://www.youtube.com/watch?v=iiEUNeEnJwU
22 zitiert nach Hans-Peter Siebenhaar, Die Nimmersatten, Köln 2012, S.218.
23 zitiert nach Wagner (Anm 3)
24 Herles (Anm.11), 197, 234
25 Ausführlicher dazu: https://www.goethesfaust.com/professioneller-dilletantismus-bei-ard-und-zdf/ –
26 Jens Jessen, Vom Volk bezahlte Verblödung http://www.zeit.de/2010/31/Oeffentliche-Anstalten
27 Herles (Anm. 11) 201; 206ff; 211; 208
28 s. meinen Begriff des „verpflichtenden Bezugspunkts“: https://philosophischeberatung.berlin/verantwortungsethik/
29 „Zahltag“ von Martin U. Müller und Stefan Niggemeier, (Spiegel 6/2013)
30 http://www.foeg.uzh.ch/de/jahrbuch.html
31 Über eine aktuelle Fehlentwicklung im Journalismus siehe: Der Echtzeitwahnsinn – Wenn Kommunikationsmittel die Kommunikation verhindern von Stefan Berg. Spiegel 3/2018 S. 34 – Dazu auch: Michael Meyen: Das Fernsehen die Presse und die AfD. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität2017.https://medienblog.hypotheses.org/574
32 https://www.goethesfaust.com/rundfunk-buergerrat/. Weitere Initiativen, die sich um „unseren“ Rundfunk kümmern: http://publikumsrat.de/ – https://www.rundfunk-mitbestimmen.de/ – https://publikumskonferenz.de/

Veröffentlicht am 31.01.2018

(der Text ist runterladbar hier)

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