3 Notizen über Theater und Inszenierung

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Theaterkritik

  • Kritik hat die Aufgabe, Sinn und Wahrnehmung für das Gute zu stärken und das Mißverstandene oder Mißverständliche als solches deutlich zu machen, damit das Stück nicht mit seiner Inszenierung verwechselt und verworfen wird. Sie soll Erklärungsmöglichkeiten anbieten, warum etwas befremdet hat, Gefühle des Ungenügens hinterläßt und Abwendung motiviert. Ihr Sinn liegt darin, dem Zuschauer beim Verstehen seiner Erlebnisse des Dargebotenen zu helfen, nicht darin, die Darbietung zu bewerten.
  •  Das, was mit einer Sache anzufangen ist, sollte die Kritik erkennen und kenntlich machen, statt etwas schlecht zu machen. Kritik sollte inspirieren, nicht demotivieren…
  • Kritik hat allerdings auch die Aufgabe, das Problematische am Gefallen herausfordernd anzuprangern. Auf den schlechten Geschmack, den etwas zurückläßt (oder zurücklassen müßte) aufmerksam zu machen und verstehbar zu machen, was da schlecht „schmeckt“.
  •  Inszenierungsphilosophie ist Wahrnehmungsphilosophie, philosphy of mind: was der Mensch aufnehmen kann und verarbeiten kann; was den Menschen faszinieren kann und was das über ihn aussagt; was Sinn macht und was keinen Sinn macht.(weiterlesen: Wikipedia-Eintrag zu Theaterkritik)

Allgemeine Inszenierungsprobleme

Die Schauspieler meinen immer, sie müßten viel machen und sie möchten auch viel machen, um zu zeigen, was sie können. Der Gedanke liegt ihnen fern, daß sie gar nichts machen müssen, außer dem Text zu folgen. Die Virtuosität des Interpreten ist „innerlich“: liegt nicht in großen virtuosen Bewegungen und Stimmkünsten sondern in der lebendigen Geste, im lebendigen Tonfall: es geht darum, jeder Textstelle ein mimisch-gestisches Profil zu geben, das eine der Sinnmöglichkeiten, die in ihr liegen, zum Vorschein kommen läßt. Und das ist das künstlerisch wirklich Herausfordernde, dafür muß man Text und Rolle völlig verinnerlicht haben.

Die Inszenierung sollte nicht wie ein Gedicht sein, das in so kunstvoll verschnörkelter Schrift geschrieben ist, daß man alle Aufmerksamkeit braucht, um es zu entziffern und von seinem Gehalt kaum noch etwas mitkriegt. Alles, was die Verständlichkeit und die Entfaltung der Textbedeutung stört, stört, und wird höchstens von Rezeptionsdilletanten beklatscht. Dazu kann ein zu opulentes Bühnenbild genauso gehören wie eine sportliche Bewegungseinlage oder eine aufdringliche Bühnenmusik.

Auch Nachlässigkeit führt zu einer Verflachung des Texterlebens. Mephisto z.B. ist als edler Junker bei Frau Schwertlein. Taucht er dort in den gleichen Schlabberklamotten auf, die er in Fausts staubigem Studierzimmer getragen hat, wird er auf sie kaum den Eindruck machen, den er braucht. Es kommt darauf an, in der Inszenierung die Unterschiede zu beschaffen, die der Text setzt. Wie man das macht, ist egal. Will man unbedingt minimalistisch sein, gut, so sei man es: man lasse ihm die Schlabberklamotten an, doch schon eine gute Kravatte wird die Situation verbessern. Aber es stört den Text, wenn er Vorgaben macht, die dann im Bühnengeschehen nicht Ausdruck finden. Das nivelliert Bedeutungsdimensionen des Texts. Natürlich kann man auch aus solchen Störungen Kunst machen. Aber dann soll man das auch tun! Und nicht konzeptionslos zwischen Regietheater und Sprechtheater changieren nach Maßgaben, die mit Kunst nichts zu tun haben sondern nur mit Schlamperei, Einfallslosigkeit, Effekthascherei und Eigendünkel.

Alles geht, doch nur Weniges gut.

(weiterlesen: Glosse zu Regietheater (auf dieser Website)

Theater und Alkohol, freche Anmerkung eines Suchttherapeuten

Weshalb Sie ins Theater gehen ist ja Ihre Sache und geht mich nichts an. Ich halte es jedoch für Rezeptionsdilletantismus, in der Pause eines anspruchsvollen Theaterstückes alkoholische Getränke zu sich zu nehmen. Alkohol, auch in geringen Mengen, wirkt vor allem auf die Auffassungsfähigkeit, die Erlebnisfähigkeit und die Selbsteinschätzung: Sie kriegen gar nicht mehr mit, was Sie alles nicht mehr mitkriegen! (Denken Sie an W.Buschs Vers: „Einen Menschen namens Meier schiebt man vor des Hauses Tor und man spricht: betrunken sei er – selber kams ihm nicht so vor.“ – Und das gilt für alle Grade der alkoholischen Beeinträchtigung!)

Aber ein Glas Sekt (meist „Gläschen“ genannt) wollen Sie sich nicht nehmen lassen? Gut, so wichtig ist Ihnen also der Alkohol schon, daß Sie sich lieber was von der Vorstellung nehmen lassen…

Probieren Sie doch einfach mal aus, welche textinduzierte Rauschwirkung es gibt, wenn Sie in der Pause keinen Alkohol trinken! Wie gesagt: Wer Alkohol trinkt, beeinträchtig dadurch sein Selbsteinschätzungsvermögen, glaubt, nicht beeinträchtig zu sein, fühlt sich großartig und kriegt gar nicht mehr mit, was er nicht mehr mitkriegt! –

Nein, wir Suchttherapeuten sind nicht lustfeindlich! Es ist nichts gegen heilige Rituale einzuwenden, bei denen Alkohol die Hauptrolle spielt! Oder auch bloß eine Nebenrolle, egal. Wir weisen nur darauf hin, daß nicht immer alles geht: wer Alkohol trinkt, kann andere Dinge nicht mehr so gut, den Preis bezahlt man nun mal fürs Trinken! Und nur da verpasst oder verpatzt man durchs Trinken nichts, wo´s auf die Fähigkeiten, die dadurch beeinträchtigt werden, nicht ankommt. Beim Erleben, Schaffen, Arbeiten, im Straßenverkehr oder in der Gegenwart von Kindern kommt es aber auf genau solche Fähigkeiten an, die auch schon durch geringe Alkoholmengen beeinträchtigt werden!

Alkohol wirkt generell so, daß man tendenziell nichts Neues mehr erkennen und schaffen kann. Wiedererkennen und Routinen abspulen, das geht noch. Freilich: wer begabt ist, sich gut qualifiziert hat und über lange Berufserfahrung verfügt, der hat sehr komplexe Routinen und kann deshalb im Routineablauf mit seinen Routinen oft ungleich mehr bewerkstelligen als ein Anfänger mit Kreativität und Aufmerksamkeit, aber nur im Routineablauf! Für neue und unvorhergesehene Situationen ist er mit zunehmender Alkoholisierung immer weniger tauglich: überall, wo es auf Kreativität und Wachheit ankommt, auf Interaktion, Erleben und Lernen. Doch das Erleben, daß die Routinen noch gut gehen, führt in alkoholseligem Zustand dazu, daß man sich über die eigene Vortrefflichkeit wundert und nicht verstehen kann, warum die andern einen nicht längst für ein Genie halten…

Tun Sie, was Sie wollen. Aber bitte: Wenn Sie im Theater Alkoholisches genossen haben, lassen Sie hinterher Ihr Fahrzeug stehen!!! (Es sei denn, Sie können Promille berechnen und sind sicher, daß sie nach der Vorstellung wieder auf Null sind.)

 

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