„Gestern war kein Tag“: Kritik an einem gelungenen „Tatort“

Was finde ich gelungen? – Ein Tatort fast ohne Anklänge an Laiensprech! Das muß schon mal besonders herausgehoben werden. – Raffinierte falsche Fährten mit überraschenden Überraschungen. – Aber vor allem: Etwas Dokumentarisches, der Pflegenotstand, wurde fiktional gut umgesetzt. So muß Öffentlich-Rechtlicher Rundfunk mindestens sein. Leider ist diese Qualität selten. – Was ich trotzdem zu meckern habe?

Die Darbietung ist unfreiwillig interessant: Sie könnte in der Ausbildung angehender Pflegekräfte und Ärzte eingesetzt werden, um zu zeigen, was Demenz nicht ist. Das Verhalten des Opas (Günther Maria Halmer) ist geprägt von beiläufigen Zeichen liebevoller Zugewandtheit. Aber er soll schon zwei Jahre dement sein. Eine solche Zugewandtheit und die dafür notwendige Auffassungsfähigkeit und Anteilnahme ist Dementen in diesem Stadium nur noch ganz selten möglich, wenn überhaupt.

Es zeigt die Meisterschaft Halmers, daß er gar nicht anders kann, als „normales“, gesundes Interaktionsverhalten authentisch zu generieren. –  Doch um eine wirklichkeitsnahe Vorstellung von Demenz zu geben, hätte der Sender mehr bezahlen müssen: Die Symptomatik hätte mit Experten erarbeitet werden müssen und Halmer hätte wahrscheinlich mehr Zeit gebraucht, um das Erarbeitete umzusetzen, um seine „gesunden“ Spielimpulse zu unterdrücken. Ich schätze, das wäre für ihn ein leichtes Gewesen, aber auch ein Virtuose wie er hätte dafür mehr Zeit zur Vorbereitung gebraucht. Selbst die besten Konzertpianisten spielen im Konzert nicht vom Blatt… Einen Dementen wirklichkeitsgetreu zu spielen ist wahrscheinlich nicht viel leichter, als einen epileptischen Anfall wirklichkeitsgetreu zu simulieren.

Allerdings muß ich die Frage gelten lassen: muß denn Unterhaltung immer so wirklichkeitsecht sein? Geht es nicht auch ein wenig anspruchsloser? Muß alles Hollywoodniveau haben? –  Ich kann nur die Gegenfrage stellen: warum muß denn soviel produziert werden, daß man mit 8 Milliarden Euro jährlich kein einziges Fernsehspiel hinkriegt, das Niveau hat? – Das ist auch doof für die Schauspieler, die gar nicht zeigen können, was sie können.

Was könnte daran wichtig sein, bei der Darstellung eines Dementen wirklichkeitsgetreu zu sein, Spielfilmqualität zu leisten?

Die Ausfälle, die der Opa hatte, paßten nicht zu dem, was er noch konnte. Das Drehbuch wirkte wie wenn Lieschen Müller aus dem psychiatrischen Diagnosemanual ein Patchwork macht. – Die Folge: die tatsächliche Belastung, die es für Angehörige bedeutet, einen Demenzkranken zu pflegen, wurde stark verniedlicht. Es ist nicht nur die Aufsichts- und Versorgungsleistung, die diese Belastung ausmacht, sondern auch eine seelische Belastung: den geliebten Menschen, so wie man ihn kannte, schwinden und immer mehr sich in seine eigene Welt verlieren zu sehen.

Beziehung ist intuitiv ein Geben und Nehmen. Wird die Beziehungsfähigkeit eines Menschen dementiell zersetzt, wird er immer ichbezogener. Da kann er nichts gegen machen und da kann er auch nichts dazu, darin besteht gerade das Schlimme dieser Krankheit. Für die Pfleger bedeutet das: ihre intuitiven Beziehungserwartungen werden ständig frustriert: Man tut etwas für einen Menschen, aber der kann das immer weniger ermessen und schließlich überhaupt nicht mehr verstehen. Er weiß irgendwann gar nicht mehr, daß etwas für ihn getan wird, weil er gar nicht mehr weiß, was das bedeutet: etwas für einen anderen tun.

Und es wird auch von Außenstehenden kaum ermessen, wie belastend das für die pflegenden Angehörigen ist. Es wird kaum ermessen, was es für eine Leistung ist, die intuitiven Beziehungserwartungen abzustellen und die liebevolle Einstellung zum dementen Partner aus ganz anderen Quellen zu speisen. Wenn das gelingt, ist es eine psychologische und ethische Meisterleistung. – Aber es gelingt oft nicht ohne Verletzungen: Schon mehrfach habe ich in unserer Suchtambulanz Frauen behandelt, die über die Pflege ihrer dement werdenden wesentlich älteren Männer alkoholabhängig wurden…

„Aber der Film hat doch getan was er konnte, um zu vermitteln, wie belastend das ist!“, wird man mir antworten. Gut, er hat sich sehr bemüht. Aber würde man mit diesem Argument auch ein Konzerterlebnis zu retten versuchen, wenn ein Pianist ein Stück darbot, daß ihm viel zu schwer war? Ist es da die Aufgabe des Hörers, in der Vorstellung zu ergänzen, was nicht hörbar wurde?

Je weniger Leser, Zuschauer, Höhrer spekulieren und ergänzen müssen, um zu erfassen, was gemeint ist, um so mehr Erleben mit Erkenntniswert entsteht. Alles, was sie selber hinzufügen müssen, um zu erfassen, worum es geht, bringt sie nicht weiter, denn das kennen sie schon.

Trivialität bedeutet immer: die Zuschauer bleiben wie sie sind. Das kann man bestenfalls Zeitverschwendung nennen. Die Trivialisierung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks ist genau genommen skandalös. Interessant ist die Frage: Warum nehmen die Bürger es nicht genau? Ist es ihnen egal, was für fast-food sie kriegen für ihr Geld? Oder haben sie längst aufgegeben?

Es ist schade: Das Drehbuch ist nah dran, eine Situation zu zeigen, in der ein alter Mann Vorteile davon hat, ganz einsam, ohne irgendjemanden einzuweihen, sich dazu zu entscheiden, Demenz zu simulieren. Und so wirkte es ja auch die ganze Zeit. Ich dachte bis zum Schluß, daß es darauf hinauslaufen würde. Es wäre so einfach gewesen: Man hätte die Fäden bloß ein wenig weiterspinnen müssen. Dann hätten die Komissare vielleicht ein Geriatrielehrbuch unter dem Bett des Simulanten gefunden und ein Demenzspezialist hätte so raffinierte Fragen gestellt, daß selbst der belesenste Laie die falschen Fehler gemacht hätte…. Aber für soviel Raffinesse fehlt dem Sender offenbar das Geld. Funktionäre haben andere Prioritäten als Qualität…

Die mangelhafte Darstellung ist typisch für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk. Das hat alles ein bisschen Kinderbuchqualität. (Ein weiteres Beispiel dafür gibt der Pfingstmontagstatort.) –  Was unterscheidet einen Profi von einem Dilettanten? Ein Profi macht nie, was er nicht hinkriegen kann, ein Dilettant ständig – denn der Dilettant hat keine Ahnung, was dafür nötig ist, etwas hinzukriegen, ja er hat nicht mal ein Wissen geschweige denn ein untrügliches Gefühl dafür, was Hingekriegtes von Nicht-Hingekriegtem unterscheidet. Das charakterisiert offensichtlich die verantwortlichen Funktionäre des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks.

Wir Zuschauer können die Künstler nur ermutigen, sich zu wehren und von den Funktionären zu fordern: „Wenn ihr das und das wollt, brauchen wir mehr Geld, wenn wir nur soviel Geld kriegen, können wir auch nur das und das  professionell daraus machen. Und drunter machen wir es nicht!“

Link zum Wikipedia-Artikel über den Tatort

 

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