Sokurov, Faust-Film

In einem traditionellen Film würde man das für dilletantisch halten: lauter Handlungen, die man eigentlich auch weglassen könnte, Zeitfüller. Oft denke ich: nun kommt doch endlich zur Sache! Ein entnervend-redundantes, minimalistisches, oft slapstickhaftes Kreisen um einen Handlungszweck. Aber es ist so absurd redundant, daß man nach einiger Zeit erkennt: Die Absurdität hat System.

Die Bilder und die Filmmusik lassen einen düster-romantischen Film erwarten, aber sie sind die Kulisse zu einem absurden Theaterstück alla Beckett, das man nicht mit solchen Bildern und solcher Musik ausstatten würde. Das führt den Zuschauer anfangs in die Irre, weil es die falschen Erwartungen weckt und unerträglichen Dilletantismus vermuten läßt.  (Mein erster Gedanke war: „Was ist denn das fürn Scheiß!“.)  Die Musik changiert unentschlossen irgendwo zwischen Mendelsohn und Wagner. Öfter wirkt sie merkwürdig beziehungslos zum Film und stört.

Unnötige Wortwechsel und Handlungen reihen sich aneinander und in diesem absurden Schnörkelwerk zeichnet sich allmählich eine Geschichte ab. Die Figuren wirken genauso merkwürdig beziehungslos zueinander, wie die läppische Erzählweise zu den beeindruckenden, beklemmenden Bildern und zu der trotz klassizistischem Wohlklang streckenweise merkwürdig „unschönen“, teils aber auch ostentativ wagnerisch-sehnsüchtigen Filmmusik. Die Bildsprache ist so stark, daß man sich wünscht, den Ton abzustellen und nur zu schauen. Das Gerede und Getue stört und nervt.

Ein Beispiel: Fausts Dienerin schüttet ungefragt so heißes Wasser in sein Fußbad, daß es ihn schmerzt. Eigentlich ein völlig unnötiger Handlungsschnörkel. Die ganze Fußbadszene und die Figur der Dienerin sind völlig unnötig und man hätte sie in jedem traditionellen Film der Stringenz wegen weggelassen – zumal sie im Original ja auch nicht vorkommen. Aber Sokurofs Botschaft scheint zu sein: „Seht, wie unser Leben sich im Unnötigen zerfasert, wenn man eine Einstellung hat wie Faust.“ (Denn ein Zen-Buddhist beispielsweise würde über das Unnötige ganz anders denken.)

Es kommt der Eindruck einer gewissen Monotonie auf, ich denke, das ist ein wahrnehmungspsychologisches Phänomen, weil sich der Moment des Absurden, Willkürlichen, Beziehungslosen und Redundanten als auffälligstes Stilmittel in den Vordergrund drängt. Die Handlung des Films „wirkt“ nicht, vermittelt nichts, weil viele der Handlungen aufgrund ihrer Absurdität so willkürlich sind, daß sie auch ganz andere sein könnten – viele, aber nicht alle, und manchmal sind an einer Handlung nötige und absurde Aspekte ineinander verwoben. Das macht das Zusehen so anstrengend: man muß ständig das Notwendige aus dem Unnötigen herausfiltern. Das Redundante schluckt systematisch die Bedeutung dessen, was eigentlich vor sich geht, verstellt den Blick auf das, was da eigentlich abläuft und scheint daher selbst eine Dimension des Eigentlichen zu sein.

Die Pointen bezüglich der literarischen Vorlage erschließen sich nur dem, der sich mit ihr genau auskennt. Es werden Zitate in den Film eingestreut, die immer passen, aber im Original ganz anders verwendet wurden. So fragt Mephisto bezüglich des hungerleidenden Faust: „Hat so ein Hungermann Humor?“ Im Original wird aber Mephisto mit diesen Spruch verunglimpft, als er im Mummenschanz als Geiz verkleidet über die Verschwendungssucht der Frauen schimpft. Aber das scheinen Spielereien zu sein, auf die es dem Film nicht ankommt.

Das ganze wirkt so, als ob da jemand eine Faustaufführung gesehen hätte und nachts davon träumt, wirr und zermürbend. Sokurof scheint einen Bogen zu spannen zwischen Goethe und Kafka und noch weiter zu Beckett. – Einzelne Handlungs- und Redesequenzen könnte man symbolistisch deuten. Aber das scheint nicht die Hauptintention des Films zu sein.

Mit Sokurovs Film geht es wie mit allem Neuen in der Kunst: Der Film spricht eine neue Filmsprache, eine die ich noch nicht beherrsche und auf Anhieb nicht verstehe. Daher weiß ich auch nicht, wovon sie redet und kann sie nur von außen beschreiben. Den Zusammenhang, den Sokurof hier aufzeigen will zwischen Faust, Stalin und Hitler, vermittelt sich mir deshalb nicht. Das Faustische, um das es inhaltlich geht, wird durch die Form des Absurden so völlig zerstreut, daß man den Eindruck hat, daß nur zufällig der „Faust“ als Vorlage gewählt worden sei und die Filmaussage nicht wesentlich anders wäre, hätte es völlig andere Hauptfiguren oder auch überhaupt keine gegeben. – Aber dennoch läßt mich der Film erahnen, was das sein könnte: eine moderne autonome Film-Kunst.

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