Zur Homunkulus-Thematik

Daniel Seefeld

Die optimale Kombination

Unser Produkt „Genetische Optimierung für Mädchen“ hielt nicht, was es versprochen hatte, wir hatten Reklamationen in Millionenhöhe. – Den Vorwurf, das Produkt nicht gut genug durchdacht zu haben, hatte ich entkräften und Konsequenzen für meine Abteilung gerade noch abbiegen können. Die Vorgaben waren schuld, nicht wir.

Dabei hatte alles so gut angefangen! Wir sind das innovativste Biotechnologie Unternehmen der Welt! Wir hatten als erste ein Verfahren entwickelt, auch Geistesgaben und Charakteranlagen genetisch zu optimieren. So hatten wir schließlich die erste optimale Kombination für Mädchen in unserer Produktpalette, das Modell „HelenaTeresaMozart“, für Töchter, schöner als Supermoddels, genialer als Mozarts und charaktervoller als Mutter Teresa. Damit hatten wir unsere Konkurrenz, die bis dahin Marktführer mit ihrem Modell „Schneewittchen“ gewesen war, weit abgeschlagen.

Was hatte nicht funktioniert? – Meiner Fehleranalyse ist es zu verdanken, daß wir jetzt klar sehen, daß der Ansatz falsch war:

Die Mädchen waren zu liebenswürdig. Schon als Kind lösten sie durch ihre Anmut Impulse aus, sie zu beschenken. In der Pubertät reiften sie schnell zu hochattraktiven jungen Frauen heran, die sich überall Sympathien erwarben: Sie nahmen an allen Menschen ein warmes, wertschätzendes Interesse und waren musterhaft bezüglich Zurückhaltung, Verbindlichkeit und Taktgefühl. Und das wirkte um so authentischer, als die Mädchen dafür keine Mühe aufwenden, sondern bloß ihren optimierten angeborenen Verhaltensbereitschaften freien Lauf zu lassen brauchten. – Alle Leute wollten mit ihnen zu tun haben.

Bei Männern lösten sie überwältigende Impulse aus, ihnen zu Füßen zu fallen, alles für sie herbeizuschaffen, barfuß übers Gebirge zu gehen, ja, ihre Seele an sie zu verkaufen. – Und natürlich heirateten alle unsere Produktträgerinnen die attraktivsten und erfolgreichsten Männer.

Unser Fazit: Schon als Kleinkindern wurden die Mädchen reich mit Zuwendung und Anerkennung beschenkt. Sie waren glücklich und zufrieden. Sie entwickelten kaum Bedarf an Erlebnissen von Erfolg und Faszination, wie sie mit Tätigkeiten des Erforschens oder Erfindens verbunden sind. Es bildeten sich in den Mädchen keine Bestrebungen aus, für die Genialität Sinn gehabt hätte. Trotz Mozart-Modul wurden sie einfach nicht genial, es entwickelten sich keine Mozartinen.

Um das Mozartmodul zu aktivieren, ist es nötig, die Faszination, die Kinder natürlicherweise an Dingen haben, zu vertiefen, in dem sie zu einem Erkennen und Handeln angeleitet werden, das sie von alleine nur sehr selten entdecken.  Es zeigte sich jedoch, daß die Eltern solches Vertiefen von Faszination in keinem einzigen Fall förderten. Unsere Untersuchungen dazu ergaben: Die Eltern waren selber von nichts genügend fasziniert! Es gab keine einzige Sache, an der sie allein der Sache wegen interessiert gewesen wären, an Allem, an dem sie interessiert waren, waren sie – egal um was es sich handelte – nur des Erfolges wegen interessiert, um ihren sozialen Status zu sichern oder zu erhöhen. Sie hätten Bach und Beatles für das Gleiche gehalten, für schöne Musik, wären sie nicht darüber informiert worden, daß es als gebildeter gilt, Bach besser zu finden.

Doch bei einem einzigen Mädchen verlief die Entwicklung anders, sie gehört jetzt zu den bedeutensten Menschen der Welt. (Aus Diskretionsgründen nennen wir keinen Namen.) Ihre Eltern starben bei einem Autounfall. Sie kam in ein Heim. Dort wurde sie von den Kindern gerade wegen ihres holden Wesens angefeindet, denn die andern Kinder fanden es gemein, daß unsere Produktträgerin nach einer so privilegierten Kindheit jetzt auch noch alles an Aufmerksamkeit und Gebebereitschaft auf sich zog, ohne sich dafür anstrengen zu müssen, ja, sogar ohne ihr vorwerfen zu können, es darauf anzulegen, sondern einfach, weil sie so war, wie sie war.

Das Mädchen geriet in eine Außenseiterposition. Die soziale Frustration glich sie aus, indem sie  – ohne zu ahnen, wohin das führen könnte – in einsamen Aktivitäten Sinn und Befriedigung suchte: in Erforschen und Erfinden. Die dabei entzündete Faszination an der Sache, für die sie nun berühmt ist, aktivierte nach und nach das ganze Ausmaß ihrer Begabung.

Wir können keine funktionierenden KonzeptKind-Produkte anbieten, die nur auf Genmodulation basieren. Komplexe KonzeptKind-Produkte funktionieren nur, wenn sie im Rahmen eines Multifaktorenpakets angeboten werden, das verbürgt, daß die genoptimierten Kinder auch entsprechend gehalten werden. Wie spricht der Dichter:

„Es ist nunmal so: Das Hirn wächst von selbst nicht so schön wie der Po.“

Wenn die Module ihr Potential nicht entfalten, sind die Eltern schuld. Das  jedoch ist eine Botschaft, die sich – laut unserer Marketing-Abteilung – zur Zeit nicht verkaufen läßt.

Aber mal ganz unter uns: Für was braucht man auch ein Mozart-Modul?

PS: Bevor mir jetzt jemand Diskriminierung vorwirft: Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß das Zitat von Hirn und Po sich im Original auf die Hirne und Pos aller Geschlechter bezieht, weil der Dichter dieses geflügelten Wortes bekanntlich pansexuell ist.

 

Anmerkung des Herausgebers:  Eigenartig sind die Parallelen dieser Satire zu der düstersten unserer Geschichten: Die Findelkinder

 

 

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