„Offene Fragen“ an den ehemaligen Verfassungsrichter Prof. Dr. Paul Kirchhof

Berlin, 19.10.19

Sehr geehrter Herr Prof. Kirchhof,

gestatten Sie mir bitte drei „Offene Fragen“ zu meiner Laienkritik am Rundfunkrecht in meinem Text: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“ :

(1) Als es notwendig wurde, die Rundfunkfinanzierung zu reformieren, wurde nicht gefragt, was die beste Lösung wäre, sondern es stand von vornherein fest, was herauskommen sollte: Es sollte möglichst alles so bleiben wie immer, damit der Erhebungsaufwand gering bleibt und niemand über höhere Abgaben meckert. Einige Fragwürdigkeiten wurden nie diskutiert:

  • Es ist nicht in Ordnung, eine Institution unter der Prämisse, daß ihre Finanziers aussteigen können, wenn es ihnen zuviel wird, immer weiter auszuweiten, und dann plötzlich den Ausstieg zu streichen. – Unter der Prämisse, jederzeit könne ausgleichslos eine nutzungsunabhängige Finanzierung eingeführt werden, wären die ständigen Ausweitungen des Rundfunks in den 90ziger Jahren ganz anders in der Öffentlichkeit diskutiert worden.
  • Auch wenn der Betrag gleich bleibt: Es ist ein kategorieller Unterschied, ob jemand mit niedrigem Einkommen frei entscheiden kann, sich davon Fernsehen zu leisten, oder ob ihm diese Selbstbestimmung entzogen wird.

Ist es rechtsstaatlich unbedenklich, unter solchen Umständen den Bürgern eine größere Verbindlichkeit aufzuerlegen ohne jeden Ausgleich, ohne daß z.B. auch der Rundfunk rechtsverbindlich strenger in die Pflicht genommen wird? Wenn ja, aus welchem Grund halten Sie es für unbedenklich?

 

(2) Die Bundesregierung bezeichnete den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk einmal als „Lebenselexier der Demokratie“. Es ist die Demokratie, der daran gelegen ist, daß allen Bürgern ein Medienangebot in öffentlich-rechtlicher Qualität finanziell barrierefrei zur Verfügung steht. – Dieses Angebot wird, um es mit einem Beitrag finanzieren zu können, umgemünzt zu einer Einrichtung, an der wegen ihrer „individualisierbaren Benutzbarkeit“ den Beitragsschuldnern gelegen sei.

Als Bürger kriege ich da das Gefühl, das Recht hilft Rundfunk und Politik, die Sache zu drehen und zu wenden, wie es ihnen gerade paßt: Steht seine Bedeutung in Frage, gilt der Rundfunk als „Lebenselexier der Demokratie“, steht seine Finanzierung in Frage, gilt er als individualisierbarer Vorteil wie der Gehsteig vor dem Eigenheim. Diese Überhöhung des Gegenleistungsbezugs zum entscheidenden Kriterium wirkt bestenfalls als Verlegenheitslösung, schlimmstenfalls als Winkelzug, aber in jedem Fall so, daß das Recht hier für Wünsche von Rundfunk und Politik instrumentalisiert und seine korrektive Kraft an die Kette gelegt wird.

Sicher: Es ging nur um knapp 18 Euro und es stand die zureichende Finanzierung des Rundfunks auf dem Spiel. Ich schätze, es sind derartige Umstände, die rechtfertigen, was der Gesetzgeber „darf“. Aber ich frage mich, ob das „Darf“ hier untendenziös genug erwogen wurde.

Inwieweit halten Sie meine laienhafte Auffassung, daß das Recht hier instrumentalisiert und seiner korrektiven Funktion entbunden wurde, für unzutreffend?

 

(3) Bisher wurde in keinem Rundfunkurteil je hinterfragt, inwieweit die faktische Qualität und Bedeutung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks noch in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Budget stehen, ja, inwieweit der Rundfunk überhaupt noch seiner Aufgabe gerecht wird.

Die Frage: „Steht so einem Rundfunk so eine Finanzierung überhaupt so bedingungslos zu?“, wurde nicht gestellt. Ihre Beantwortung hätte dazu führen können, Mittel und Wege zu finden, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk mit Rechtfertigungspflichten zu beauflagen, die ihn „öffentlicher“ machen: die den Austausch zwischen Rundfunk und Gesellschaft und damit seine Qualitätsentwicklung fördern. Selbst Spitzenfunktionäre des Rundfunks forderten eine „Transparenz … in programmlicher Hinsicht“, um „Öffentlichkeit herzustellen und die zivilgesellschaftlichen Kräfte zu bewussten Mitakteuren … zu machen“.

Finden Sie es richtig, daß die Richter sich beim Rundfunk bisher immer auf ein unüberprüftes Postulat berufen und stets sagen durften: „Das Faß mach ich nicht auf?“ – Wenn ja, aus welchen Gründen finden Sie es richtig?

Die Antwort auf diese Frage ist für uns Bürger wichtig, damit wir wissen, was wir vom Recht sinnvoll erwarten können und wo unsere eigene politische Initiative gefordert ist.

Ich fürchte, daß die Richter dem Rundfunk einen Bärendienst damit erwiesen haben, ihm seine Wünsche weitgehend durchgehen zu lassen ohne die Waagschale von Rechten und Pflichten so auszutarieren, daß sie wieder im Gleichgewicht ist. – Weder Politik noch Recht scheinen dafür Sorge zu tragen, daß die Rundfunkfreiheit nicht zur Narrenfreiheit wird. Das schadet der Glaubwürdigkeit von Politik, Recht und Rundfunk.

Über Stellungnahmen zu meinen Fragen würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Winfried Lintzen

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