Faust und der Wille zur Wirkung

Dieser Artikel wurde im Wesentlichen eingearbeitet in den neuen Artikel: „Fausts Erlebnisse von Mangel und ihre Aktualität“.  –  Übriggeblieben sind einige Schlüsse, die im neuen Text zu weit führen würden:

Die Kräfte der Natur, die uns übersteigen, zu unserem Nutzen zu unterjochen, zu kanalisieren, einzuspannen, das ist ein uns innewohnendes Bestreben.

Statt sich mit der Frage zu beschäftigen: „Wie wollen wir leben?“ gingen die Akteure des Fortschritts nur von der Frage aus: „Wie erreichen wir am effektivsten und schnellsten das Ziel unserer Bestrebungen?“ Und es waren keine durch Besinnung gestalteten Bestrebungen sondern die spontanen, unserer Tiernatur entspringenden Bestrebungen.

Die Ziele und Mittel wurden nicht reflektiert. Es gab keine Untersuchungen über die strukturbildenden Folgen des Technikeinsatzes, über die aus ihnen erwachsenden Sachzwänge, über den Dienst am Dämon, der damit heraufbeschworen wird. Ohne Einsicht, Umsicht und Weitsicht wurde die Technik von Anbeginn für beschränkte Zwecke eingesetzt. Einseitige, orientierungslose, instrumentelle Rationalität ist die Grundlage unserer gegenwärtigen Zivilisation. (Der Philosoph Jürgen Habermas prägte dafür das Konzept der „selektiven Muster von Rationalisierung“ (Verlinkung mit meiner Website philosophischeberatung.berlin)

Das spürt Faust, wenn er klagt, daß Magie ihn nicht frei gemacht hat. In der Art und Weise, wie wir die Technik in die globalen Lebensvollzüge eingespannt haben, steckt zuviel von unserer Tiernatur und zuwenig Besinnung, Bewußtheit, Vorausschau und Planung. Durch unbesonnene Technisierung erleben wir bloß immer neue Kränkungen, wenn das, was wir mit Stolz geschaffen haben uns über den Kopf wächst und wir zum Opfer unserer eigenen Taten werden.

Bei einigen Technologien könnte z.B. das „Geboten schnell, zu schnell getan“ tatsächlich dazu führen, daß die Spur der Erdentage von Fausts modernen Nacheiferern in Äonen nicht untergeht. Wir können zwar davon ausgehen, daß die Techniker alles daran setzen, mit technischen Vorkehrungen das Restrisiko zu minimieren. Doch damit kriegen sie das Grinsen nicht von Mephistos Gesicht, der Teufel der hat Zeit: „die Elemente sind mit uns verschworen und auf Vernichtung läufts hinaus“. Eine wirklich kultivierte Zivilisation würde sagen: „Auch das Restrisiko ist es uns nicht wert. Lieber passen wir unseren Lebenstil an.“

„Stünd ich Natur,vor Dir, ein Mann allein, da wär´s der Mühe Wert, ein Mensch zu sein! – Das war ich sonst, eh ich´s im Dunkeln suchte, mit Zauberwort mich und die Welt verfluchte!“ – Mensch sein ist mühsam und lohnt sich nur, wenn man keine Magie zur Hilfe nimmt, denn Magie verdirbt die Beziehung des Menschen zur Natur.

Die Magie hat Faust nicht entlastet bezüglich der Sorge, sondern offenbar im Gegenteil: Hat er vor seinem Einsatz von Magie beklagt, daß die Sorge ihm im tiefsten Herzen nistet und die kühnen Flüge seiner Fantasie kaputt macht, daß er vor allem bebt, was nicht trifft, und daß er beweint, was er nie verliert, so beklagt er jetzt, daß die Welt nahezu verseucht ist mit Risikoindikatoren: „von Aberglauben früh und spät umgarnt, es eignet sich, es zeigt sich an, es warnt“.

Faust erkennt, daß er aus der instrumentellen Einstellung zu den Lebensproblemen nicht herausgefunden, sondern durch Magie nur noch tiefer in sie verstrickt wurde. Er erkennt, daß den Lebensproblemen beizukommen und im alltäglichen Lebensgerangel die Würde zu bewahren, keine anderen Mittel der Problemlösung erfordert sondern eine andere Einstellung zu den Problemen.

Außerdem kann Faust sich in seinem magiegestützten Schaffen nicht selbst erkennen. Es ist keine „reine“ Tätigkeit. Es ist zuwenig von ihm selbst drin. So wie jemand, der einen Rennwagen mit elektronischen Assistenzsystemen fährt, die von alleine das Tempo an die Kurven anpassen, das Bremsen dosieren und den Wagen in der Spur halten.

Deshalb will Faust sich die Sorge mit ihren Grübelzwängen auch nicht mit Magie wegmachen. Doch er rechnet nicht mit dem, was der doch selbst gerade eingesehen hat: daß er die Zaubersprüche, die instrumentelle Einstellung, noch nicht ganz verlernt hat. Und so unterläuft ihm ein Rückfall: Statt mit der Sorge zu diskutieren herrscht er sie an: „Ich werde dich nicht anerkennen!“ Er bricht die Diskussion ab, den „inneren Dialog“, die Verständigung mit sich selbst, er schaltet wieder um auf Besinnungslosigkeit. Er entgeht der Macht der Sorge dadurch nicht sondern spürt sie bloß nicht mehr – und verliert dadurch den Kontakt zur Realität. – Er ist noch nicht der Mann, die Sorge fernzuhalten.

Das unbändige Bändigen der Naturkräfte führt bloß zu neuen Bändigungsbedarfen. Erst die Muttergottes sorgt dafür, daß Fausts Wünsche nach Wirksamkeit und Emanzipation in die richtigen Bahnen gelangen: in die Selbstbändigung und in die Verständigung mit der lebendigen Zukunft der Menschheit: der nachwachsenden Generation.

Bändigen: dafür gibt es im indogermanischen, einer der größten Sprachfamilien, ein Urwort, daß sich in fast all ihren Abkömmlingen erhalten hat: Yoga, das Joch, mit dem Ochsen zu einem Gespann vereinigt wurden. Die Bändigung der übermenschlichen Kräfte von Huftieren wurde zur Metapher der Bändigung unserer selbst. Im Zen-Buddhismus ist der Mann, der einen Stier an der Leine führt, immer noch das Sinnbild für die Bändigung unseres wildwüchsigen Stroms der Wünsche, Gefühle und Gedanken. Und nachdem Faust zwar das Meer aber nicht sein egozentrisches Bestreben gebändigt gekriegt hat, bringen ihn die Engel zu den Eremiten, den Yogis, den Selbstbändigern.

Fazit

Der Einsatz von unbesonnener Intelligenz ist ein unredliches Mittel, die Herausforderung der menschlichen Existenz zu meistern. Es gibt keine Seilbahn zu Gott. Zivilisatorisch sind wir noch nicht so weit, das Wuchern der Technik einzudämmen und zu gestalten, es gibt keine wirksame gesellschaftliche Willensbildung bezüglich ihrer Bewertung und Verbreitung. Die zivilisatorische Aufgabe, vor der wir stehen ist: unser Bändigen zu bändigen.

 

Weiterlesen:

Überblick über das Drama, deutende Inhaltsangabe

Zu dieser Thematik auch meine Rezension zu Bruno Latour „Terrestrisches Manifest“ (auf dieser Website)