„Offene Fragen“ an die medienpolititschen Sprecher von CDU, SPD, FDP, Linke und Grüne

Berlin, 19.10.19

Sehr geehrte Damen und Herren,

gestatten Sie mir bitte vier „Offene Fragen“ zu meinem Text: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“:

(1) Was wir für unser Gemeinwesen brauchen, wird als „Gemeinlast“ finanziert: die, die mehr von unserem Gemeinwesen profitieren, sollen auch mehr dafür bezahlen. – Geringverdiener werden durch den Rundfunkbeitrag erheblich belastet: Manche zahlen 10 % und mehr von dem, was sie über dem Existenzminimum verdienen, an den Rundfunk.

Wenn Betroffene fragen, warum sie den Rundfunk mittragen müssen, obwohl sie ihn am liebsten „abbestellen“ würden, heißt es, der Rundfunk sei das Lebenselexier der Demokratie. Wenn sie dann fragen, warum sie für die Demokratie genauso viel zahlen müssen, wie Superreiche, heißt es, das sei eben wie beim Gehsteig vor’m Eigenheim: jeder bekomme den gleichen Vorteil und müsse deshalb auch das gleiche bezahlen.

Was würden Sie entgegnen, wenn Geringverdiener Ihnen vorwerfen würden, Politik und Recht würden es zu Lasten der „Kleinen“ mal wieder so drehen und wenden, wie es ihnen gerade paßt?

 

(2) Gut: Um Unsicherheit, Aufwand und Akzeptanzprobleme zu vermeiden, wollte man an der Finanzierung des Rundfunks möglichst wenig ändern. Doch die Frage, ob eine zeitgemäße Rundfunkfinanzierung nicht ganz anders organisiert werden müßte, wurde, soweit ich sehe, nie ernsthaft gestellt. – Es wirkt schildbürgerhaft, die Rundfunkfinanzierung am schwächsten Glied der Einkommenskette festzumachen. Je unliebsamer der Rundfunk den Politikern wird, desto mehr könnten die Politiker behaupten, eine Erhöhung des Beitrags sei politisch nicht durchsetzbar.

Was hat Ihre Partei dafür getan, grundlegende Alternativen zur Rundfunkfinanzierung zu entwerfen und zu erörtern?

 

(3) Was tut Ihre Partei dafür, um die Rundfunkqualität kritisch zu diskutieren, und zu überlegen, wie die Qualitätsentwicklung gefördert werden könnte, ohne die Rundfunkfreiheit anzutasten?

Ich denke hier z.B. an eine rechtsverbindliche Pflicht, zu belegen, was zur Qualitäts und Strategiediskussion und -entwicklung von den Anstalten unternommen wurde. Dann müßten sie Rede und Antwort stehen für alles, was sie nicht unternommen haben. So fällt z.B. auf, daß viel Geld in die Kopie von Formaten der privaten Sender gesteckt wurde – in „Mehrdesselben“, also in etwas, das für die Bürger keinerlei Mehrwert darstellt, statt in die so oft beschworene „Vielfalt“. – Dagegen kam in die Entwicklung einer spezifischen und identifizierbaren breitenwirksamen öffentlich-rechtlichen Attraktivität zu kurz.

 

(4) Der mediale Umbruch ist eine epochale Ausnahmesituation mit völlig neuartigen, investitionsintensiven Aufgaben für den Rundfunk.

Was spricht für Sie dagegen, aus Steuermitteln einmalig dem Rundfunk zu einer zeitgemäßen Ausstattung zu verhelfen, und das so Erworbene dem Rundfunk gesetzlich zu übereignen? 

Weil es nicht um einen Dauertropf geht, würde der Rundfunk dadurch nicht abhängig von der Regierung. Und es wäre die Gefahr gebannt, daß er der Entwicklung hinterherhinkt. – Wäre das nicht eine lohnende Perspektive: eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine und ein öffentlich-rechtliches „Youtube“ zu haben?

 

Über Antworten oder eine Stellungnahme zu meinen Fragen und meinem Text würde ich mich freuen.

Mit freundlichen Grüßen

Winfried Lintzen

 

PS: Ich habe die „Offenen Fragen“ an alle im Bundestag vertretenen Parteien geschickt, außer der AfD. – Gerade wegen der Zweifel, daß die AfD eine seriöse Partei ist, halte ich es für wichtig, sie nicht aus Diskussionen auszuschließen. Doch bei Seriösitätszweifeln sind besondere Anforderungen an Fragen und die Möglichkeit von Nachfragen gestellt, die den Rahmen dieser Aktion sprengen würden. (Unseriös sind Parteien, bei denen man nicht weiß, was schlimmer ist: wenn ihre Spitzenfunktionäre selber nicht glauben, was sie sagen, oder wenn sie es glauben.)

PS: Ich schreibe Sprechdeutsch mit seinem generischen Maskulinum, das vom tradierten Sprachgefühl in den meisten Kontexten gender-neutralisiert wird. (Noch mehr als 10 Jahre nach der Wende stellten sich mir mehrere für soziale Aufgaben umgeschulte ostdeutsche Frauen mit den Worten vor, sie seien eigentlich „Ingenieur“.) – So sinnvoll gendergerechte Schreibexperimente auch sein mögen, halte ich es doch für geboten, die Schreibweisen unnormiert und unbewertet zu lassen.

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