Faust II 3.Akt

(Lesezeit: 3 Minuten)

Frauen vor einem ausgestorben wirkenden Palast.

Das Alpha-Weibchen, von düsteren Vorahnungen bedrückt, betritt den Palast, doch stürmt schnell wieder heraus, als hätte sie ein Monster entdeckt. Während sie ihren Dienerinnen noch davon erzählt, erscheint das Monster in der Tür: Phorkyas, eine selten häßliche alte Frau (niemand anderes als Mephisto).

Die Dienerinnen geben schonungslos vor, den Anblick der Alten schlimmer zu finden, als die Kriegstraumatisierungen, die sie alle bei der Eroberung Trojas erlitten haben. So geschmäht beginnt die Alte zu keifen, was das Zeug hält. Es kommt zu einer regelrechten Keilerei mit Worten, bis Helena dazwischengeht. <Phorkyas, oder die Kunst des Keifens>

Der Hintergrund: Faust hat Helena von Persephone, der Herrin der Unterwelt, losbitten können. „Nun soll sie … auf den Boden von Sparta zurückkehren, um als wahrhaft lebendig … dort aufzutreten, wo denn dem neuen Werber überlassen bleibe, inwiefern er auf ihren beweglichen Geist und empfänglichen Sinn einwirken und sich ihre Gunst erwerben könne“ (aus Goethes Skizzen). –  Zwei Aufgaben also für Mephisto: Er muß Helena in Kontakt mit Faust bringen und er muß irgendetwas inszenieren, womit Faust ihr imponieren kann. – Von Persephone freigegeben, „auferstehen“ Helena und ihre Dienerinnen von den Toten.

Der weitere Verlauf: Als Helena nach Unterbindung der Streitereien in ihrer Dienerschaft, endlich Zeit hat, sich auf sich selbst und ihre neue Situation zu besinnen, gerät sie in eine Identitätskrise: Aus den verwirrenden und widersprüchlichen mannigfaltigen Phantasien, Gerüchten und Unterstellungen, die über sie in Umlauf sind, muß sie das Zutreffende vom Unzutreffenden trennen. <Helena>

Phorkyas macht den jungen Frauen weis, daß sie mit Helena zusammen von Menelas getötet werden als Opfer für den wegen Helena entstandenen Krieg. Bei Helena selbst, die der Aussicht auf den Tod gefasst entgegenblickt, hat er damit keine Chance. Aber die Dienerinnen erstarren vor Angst. Als Phorkyas andeutet, einen Ausweg zu wissen, werden die Mädchen, die die häßliche alte Frau anfangs wegbeißen wollten, scheißfreundlich.

Phorkyas unterrichtet sie, daß in der Nachbarschaft sich ein mächtiger Räuber – Faust – eine Burg gebaut hat, da können alle hin. Phorkyas konstatiert hämisch, wie gespensterhaft, rückständig und unwissend die Mädchen sind, und betätigt sich mit genüßlicher Überlegenheit als Trainerin zum Bestehen des Einwanderungstests: Sie erklärt ihnen, was Gotik ist und was Wappen sind. Dann macht sie die jungen Frauen scharf mit der Aussicht auf Tanzsäle und schmucke blonde Burschen. Die Mädchen sind kaum zu halten. – Helena stimmt der Rettung zu – allerdings mehr, um ihre Dienerinnen, als um sich selbst zu retten.

Der Wächter von Fausts Burg ist von der Erscheinung Helenas so hingerissen, daß er vergißt, Helena zu melden. Faust will ihn deshalb bestrafen und stößt ihn gefesselt vor die Domina. Die ist entsetzt darüber, was ihre Schönheit schon wieder angerichtet hat, und begnadigt ihn. Faust geht vor ihr in die Knie, und will ihr huldigen, doch da kommt der Wächter mit Fausts Mannen zurück, hoch beladen mit Schätzen, die sie alle Helena zu Füßen werfen. Sie machen Faust klar, daß er jetzt nichts mehr zu melden hat sondern sich alle bloß noch Helena verpflichtet fühlen.

Faust und Helena vermählen sich. – Nach einiger Zeit übermittelt Phorkyas den Dienerinnen die neuesten Neuigkeiten: Helena und Faust haben einen hochbegabten Sohn, ein „Naturwunder“ wie es die Welt noch nicht gesehen hat. – Die Dienerinnen wollen nicht akzeptieren, daß es erst einer Verbindung mit der „neuen Welt“ brauchte, um so ein Wunder zu erzeugen. Doch Phorkyas hält ihre Kultur mit der Geburt Euphorions endgültig für überholt und abgewirtschaftet.

Euphorion ist die große Freude seiner Eltern. Doch seine Eigenständigkeit können sie nicht ertragen, sie haben Angst, ihn zu verlieren, wenn er eigene Wege geht: „nicht ins Verwegene!“ Die Eltern sind entsetzt über seine Umtriebigkeit und machen ihm unmißverständlich klar, welche Besitzansprüche sie auf ihn zu haben glauben: Er soll gefälligst heile Familie mitspielen!

Euphorion versucht „den Eltern zuliebe“ sich zu bremsen, aber ist es irgendwann leid: „Was soll die Enge mir, bin ich doch jung und frisch“. Die durch die Enge gestaute Kraft entlädt sich aggressiv: Euphorion, versucht ein Mädchen zu vergewaltigen. Als er das nicht schafft, ist er frustriert und macht seinen Eltern klar, daß er hier, im Land wo Milch und Honig fließt, alles bescheuert findet.

Bei seinem erneuten Versuch, dieser Enge zu entkommen entdeckt er den Freiheitskrieg der Griechen gegen die Türken und ist hingerissen von der Idee, für die Freiheit zu kämpfen. Aber auch hier unterschätzt er die wirkenden Kräfte: Er kommt schon beim Aufbruch ums Leben.

Goethe zeigt: Pubertierende machen selbst dem Teufel einen Strich durch die Rechnung! Beinahe hätte er Faust gehabt! Aber da muß der Bengel ausgerechnet in einen heiligen Krieg ziehen, ist natürlich sofort tot, und die Helikoptermama muß ihm natürlich sofort nach ins Totenreich, der arme Junge, wer weiß, was dem da passieren kann! – Und das wars dann mit Arkadien. Faust kann nur noch blöd gucken und Mephisto den Flopp bloß noch kommentieren.

Gewonnen haben nur die Dienerinnen: Sie sind froh, von ihrem Kolonialherrn befreit zu sein, wieder ihrem angestammten Wesen freien Lauf lassen zu können, wieder ihre eigene Sprache sprechen zu dürfen, ohne Angst vor Abwertung und Zurechtweisung…

weiterlesen: Helena Phorkyas, Keifen als Kunst – Euphorion – Faust in Arkadien, die Utopie als Crashtest

4. Akt  Überblick über das Drama: Deutende Inhaltsangabe — Zum Faust-Pfad (Überblick über alle Beiträge zur Interpretation

weiterführend:

Link zum Wikipedia-Eintrag „Persephone“  —

Empfehlung: Kommentar aus gender-reflektierter Sicht zum Helenaakt von den Schöngeistinnen

 

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