Kritik an ARD und ZDF

Zusammenfassung meiner Kritik am Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk

(Der Text ist eine Erwiderung auf einen Brief von MDR-Intendantin Frau Prof.Dr.Carola Wille – Der Brief und meine vorangegangenen „Offenen Fragen“ sind im Anhang)

 

Sehr geehrte Frau Prof.Dr.Wille,

vielen Dank für Ihre Antwort! Ihre berichtigenden Hinweise zeigen, wie sinnvoll ein Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern sein kann: Uns stellen sich Fragen, und wenn wir uns die selbst beantworten müssen, geraten wir in Spekulationen, die den Institutionen Unrecht tun.

(1) Zur Rundfunkfreiheit: Sie weisen darauf hin, daß im MDR-Urteil 1998 die Anzahl der Staats- und Parteienvertreter in der MDR-Aufsicht als verfassungsgemäß beurteilt wurde. – Doch warum hat die SPD damals eine Normenkontrollklage eingereicht? Offenbar befand sie, daß der Einfluß der CDU auf den MDR zu groß sei. Wenn die SPD damit Recht hatte, würde das bedeuten, daß der MDR sich zuwenig gegen Beeinflussung durch die Politik gewehrt hat.

Anders als später das ZDF-Urteil befaßt sich das MDR-Urteil offenbar nicht mit dem, was tatsächlich geschehen war, sondern nur mit begrifflichen und numerischen Argumentationen. In einer abweichenden Meinung spricht ein Richter daher auch von „Konstrukten“ mit denen die Staatsquote heruntergerechnet würde (S.37). Wie wenig überzeugend das Urteil war, zeigt sich auch daran, daß es nur mit denkbar schwächster Mehrheit angenommen wurde.

Auffällig ist im Übrigen, daß immer nach einer Obergrenze für Vertreter aus Staat und Politik in den Gremien gefragt wird. Warum müssen denn immer soviel darin sitzen, wie gerade auf Biegen und Brechen verfassungsrechtlich vertretbar ist? – Ich möchte an das Minderheitenvotum im ZDF-Urteil erinnern, in dem selbst noch die stark abgespeckte Obergrenze, an der sich der MDR jetzt orientiert, für unklug und bedenklich gehalten wird.

Hintergrund meiner Skepsis sind Aussagen wie z.B. die des ehemaligen Chefredakteurs v. Sternburg: „Personalplanung nach rein fachlichen Kriterien war kaum möglich“ (Nachweis unten). Ich frage mich: Warum gibt es immer nur vereinzelte Aufschreie einiger Spitzenfunktionäre? Der Rundfunk ist eine Quelle der Öffentlichkeit. Wenn er wirklich so frei war, wie er immer behauptet, wieso hat er nie „ein Faß aufgemacht“ und den Einfluß der Politik öffentlich angeprangert? Vielleicht weil einige Intendanten – wie z.B. Willibald Hilf – direkt von ihrem Parteiposten auf den Intendantenstuhl gehift worden sind? Möglicherweise gab es damals eine derartige Verbandelung mit der Politik, daß die damaligen Akteure über die Naivität meiner Fragen grinsen würden. Möglicherweise gibt es das heute so nicht mehr. Aber woher sollen wir Bürger das wissen? Und woher sollen wir wissen, wie stark die Fehlentwicklung des Rundfunks ist, wenn er sich eben nicht – wie von der Verfassung geboten – nach rein publizistischen Kriterien entwickeln konnte, weil die Politiker reingepfuscht haben?

(2) Zum Verschlafen der Medienentwicklung: Sie haben sicher recht, ich kann mir mit ein paar angelesenen Expertenmeinungen kein Urteil erlauben. Doch sehen Sie es mal so: Wenn der Rundfunk immer darstellt, wie toll er ist, aber was wir sehen ist eine absurde Überfülle immer neuer schlichter Krimiserien, die sich nur dadurch unterscheiden, daß sie an immer anderen beliebten Urlaubsorten spielen: Wie soll da Zutrauen in Innovationsfähigkeit entstehen?

Was hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der reichste Rundfunk der Welt, in den letzten 40 Jahren an bedeutenden Innovationen hervorgebracht, die bahnbrechend waren, Modellcharakter hatten und Maßstäbe setzten? Wohin ich auch sehe: er hat nachgemacht und ist auf volle Züge aufgesprungen. Und was gut lief, wurde bis zur Lächerlichkeit vervielfältigt. – (Meine Polemik wird dem Sachverhalt sicher nicht ganz gerecht. Gerne lasse ich mich eines Besseren belehren.)

(3) Zum Auftrag: Sie schreiben, daß man unterschiedlicher Meinung darüber sein kann, wie der Rundfunk seinen Auftrag erfüllt. – Sicher, objektive Kriterien gibt es hier nicht, aber Sinnkriterien: Was ist daran sinnvoll, Geld für immer mehr Krimis auszugeben, für eine Vervielfältigung des Mittelmäßigen, statt mal eine Serie wie „The Wire“ zu produzieren, die auf Platz 1 der Liste der weltbesten Serien landet, weil sie lebensecht ist, null redundant, hoch informativ und gleichzeitig hoch spannend? Oder warum nicht noch mal so ein Klassiker wie „Das Boot“?

Die Vervielfältigung von trivialen Formaten und Serien auf Kosten der Qualität wäre nur auftragsgemäß, wenn sie für die Medienpräsenz notwendig ist. Doch woher wollen Sie das wissen? Wurden in einem der Objektivität verpflichteten, reflektierten experimentellen Vorgehen andere Strategien der Medienpräsenz entwickelt? Und haben Sie empirische Belege dafür, daß diese Alternativen sich als nicht hinreichend erwiesen haben? Falls der Rundfunk das nicht belegen kann, könnte nicht behauptet werden, die jetzige Vervielfältigung und Trivialität habe sich als das „kleinere Übel“ herauskristallisiert.

Und falls es statt systematischer Experimente überwiegend einen gedankenlosen Weg der Wiederholung oberflächlicher Erfolge gegeben haben sollte, müssen wir von einer Fehlentwicklung ausgehen! Und dann würde die Fehleranalyse, „die ehrliche Reflexion und Aufarbeitung“ von der Sie schreiben, verlangen, daß Denkstile, Entscheidungsstrukturen und Korrektive daraufhin untersucht werden, wie es dazu kommen konnte.

Die Politiker rufen nicht in den Redaktionen an, die KEF verhindert einen Selbstbedienungsladen und es gibt eine Fehleranalyse. Gut. Aber damit sind die Fragen der Bürgerinnen und Bürger nicht vom Tisch: Wie unabhängig ist der Rundfunk wirklich, wie steht es um sein Preis-Leistungsverhältnis und wie bereit ist er, seine Fehlentwicklungen zu korrigieren?

Die Intendantinnen und Intendanten von heute haben kein leichtes Erbe übernommen. Die Meckerei gilt nicht Ihnen sondern den Weichenstellungen der Vergangenheit, die den Kurs immer noch mitbestimmen. Daher würde ich mir wünschen, daß freche Fragen von Bürgerinnen und Bürgern kooperativ verstanden werden: Wir wollen Sie bei der Erneuerung unterstützen…

Ich bin ein Bürger, ich möchte starke öffentlich-rechtliche Medien – Medien, die es besser zu nutzen verstehen, dem Markt enthoben zu sein – die forschen, experimentieren und Ideen entwickeln – die gefallen ohne gefällig zu sein – die Vorreiter sind, nicht Nachahmer – die politisch tiefer stechen – und die das Wichtige, das vom Mainstream nicht erfaßt wird, in die Diskussion einbringen, statt bloß von dem zu reden, wovon alle reden.

Mit freundlichen Grüßen

Winfried Lintzen

Nachweis: Bertram, Jürgen (ehemaliger ARD-Korrespondent), Mattscheibe, das Ende der Fernsehkultur.
Frankfurt a.M. 2006, S. 76

(Dieser Text ist gegenüber dem versendeten Original leicht verbessert.)

Die Intendantin hat auf meine Erwiderung vom Nov. 2021 noch nicht geantwortet (Stand 1.1.2022)

Weiterlesen:

„Nicht zuständig für die eigene Freiheit?“

„Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“ – trifft Mephistos Spott auch ARD und ZDF?

Aufruf zur Gründung eines Bürgermedienrates

Anhang

Offener Brief an die Intendantin des MDR
(Von Frau Prof.Dr.Wille beantwortet am 21.10.21. Zur Zusammenfassung ihrer Antwort und meiner Erwiderung s. Nachtrag)

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Wille,

Sie sagten im Interview mit Herrn Huber vom Tagesspiegel (am 2.10.21), daß die Rundfunkfreiheit „immer wieder aufs neue“ verteidigt werden müsse. – Die MDR-Aufsichtsgremien waren bis 2016 verfassungswidrig mit Politikern besetzt – was haben Sie als juristische Direktorin des MDR dagegen unternommen? Haben Sie jemals Fragen dazu gestellt und zur Diskussion gedrängt? Die verfassungsrechtliche Fragwürdigkeit der Gremienbesetzung war ja lange vor dem Urteil des Verfassungsgerichts bekannt!

Es war schließlich die Politik selbst, die gegen zuviele Politiker in den Gremien das Verfassungsgericht anrief, nachdem ein Ministerpräsident die Entlassung eines Chefredakteurs betrieben und sein Intendant sich dagegen nicht gerichtlich gewehrt hatte.

Es ist typisch, daß Sie von den Rundfunkurteilen des Verfassungsgerichts im Zusammenhang mit der Beitragserhöhung reden: Der Rundfunk geht vor Gericht, wenn es um sein Geld geht, aber nicht, wenn es um seine Freiheit geht. – Offenbar nimmt der Rundfunk all seine Vorrechte mit Berufung auf seine Freiheit in Anspruch, fühlt sich für diese Freiheit selber aber nicht zuständig.

Wir stimmen in Einem überein: Lange war der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht mehr so wichtig wie heute! Doch wie werden Sie Ihrem Auftrag gerecht?

Ironischerweise steht das Interview, in dem Sie die Verantwortung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks für die öffentliche Meinungsbildung beschwören, im Tagesspiegel neben der Kritik der Rundfunkgremien an dem „Triell“ von ARD und ZDF, von dem befunden wurde, daß es qualitativ hinter dem Triell der privaten Sender „peinlich“ zurückblieb.

Es ist legitim, wenn Sie die Bemühungen des Rundfunks, neue Formate und neue Medien zu nutzen, jetzt herausstellen. Aber statt der Entwicklung hinterher zu laufen, hätten wir längst faszinierende Konzepte eines grundlegend neuartigen öffentlich-rechtlichen Medienverbundes haben können!

Ob das Verschlafen der Medienentwicklung oder die lächerliche Krimi-Flut: Bezüglich solcher Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit wirkt der Rundfunk nicht selbstkritisch. Wie sollen wir Bürger da den Eindruck bekommen, daß die Funktionäre ihren Auftrag ernst genug nehmen, daß sie mutig genug sind und in der Lage, Unzulänglichkeiten zu erkennen, zu analysieren und zu verändern?

Wir Bürger sollten unseren Institutionen Unzulänglichkeiten zugestehen. Aber wenn die Funktionäre immer so tun, als wäre alles in bester Ordnung, führt das in breiten Bevölkerungskreisen zu jener unreifen Institutionenverdrossenheit, die den Populismus schürt.

Der Rundfunk würde glaubwürdiger, wenn wir Bürger sehen könnten, daß er grundlegend an sich arbeitet. Und nichts sichert in einer Demokratie die Freiheit des Rundfunks besser, als seine Glaubwürdigkeit.

Mit freundlichen Grüßen

Winfried Lintzen

 

Nachtrag am 31.10.21: Die Antwort der Intendantin

Zunächst: Daß die Intendantin geantwortet hat, werte ich als ein Zeichen, daß der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk mehr Interesse an Austausch mit Bürger:Innen und Zivilgesellschaft hat, als viele Bürger glauben. – Die Antwort der Intendantin kann grob so zusammengefaßt werden: Die Dinge sind schwieriger, als es uns Bürgern oft scheint.  – Die Einwände im Einzelnen:

(1) Frau Prof.Dr. Wille machte mich darauf aufmerksam, daß 1998 ein Urteil erging, das die Anzahl der dem Staat und der Politik zuzurechnenden Mitglieder der Aufsichtsgremien für verfassungsrechtlich unbedenklich hielt, so daß der MDR hier keinen Handlungsbedarf sehen mußte: Link zum Urteil. – Daß das Bundesverfassungsgericht das später anders sehen würde, war damals noch nicht sicher.

(2) Die Intendantin macht darauf aufmerksam, daß der Kampf ums Geld ein Kampf für die Freiheit des Rundfunks ist, weil er seine Freiheit nur wahrnehmen kann, wenn er funktionsgerecht ausgestattet ist.

(3) Sie findet angesichts der seit 2014 begonnenen Entwicklungen crossmedialer Angebote nicht, daß der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk die Medienentwicklung verschlafen hat.

(4) Sie gibt Beispiele für den Dialog des MDR mit den Bürgern sowie Belege für das Problembewußtsein und die Entwicklungsbereitschaft des MDR zum Thema: Bürgerdialog. Links dazu:

https://www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/index.html
https://www.mdr.de/unternehmen/index.html
https://www.mdr.de/unternehmen/informationen/dokumente/index.html

Ich muß zugeben: Trotz all meiner Recherchen sind die Dinge für Laien wie mich kaum verläßlich zu beurteilen. Amateurhaftes Recherchieren, das nicht zu Lasten der Familie, des Berufs und anderer wichtiger nebenberuflicher Projekte gehen soll, reicht für qualifizierte Urteile und gut informierte Fragen einfach nicht aus. – Genau genommen haben wir Bürger unseren Institutionen gegenüber oft nur Vorurteile zu bieten – egal ob mißtrauende oder vertrauende.

 

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