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2024 reichte ich meine Website beim Grimme-Online-Award ein. Ich hoffte, es wenigstens auf die Nominierungsliste zu schaffen. – Der folgende Beitrag ist eine überarbeitete Fassung des Bewerbungsanscheibens.
(1) Geschichte
(1.1) Die Interpretationen
Am Anfang stand ein Party-Gag, als ich auf einer Party spontan Verse aus „Faust“ rezitierte, die mir aus der Schule in Erinnerung geblieben waren. Der Gag wurde der volle Erfolg. – Nach Jahren wollte ich das noch großartiger wiederholen und steckte meine Nase nochmal in das abgegriffene Heftchen aus der Schulzeit um nach weiteren Versen Ausschau zu halten, die vergägt werden konnten.
Das hätte ich besser gelassen, denn diesmal packte es mich. Obwohl mir die Person Goethe nie besonders sympathisch war, wollte ich von seinen Versen immer mehr auswendig wissen. – Das ist schon Klasse: In Winternächten am Ostseestrand einsame Wanderungen zu machen, und dabei hemmungslos „Faust“ zu rezitieren!
Jetzt wollte ich mehr, als nur einen Gag. Ich ließ mich von einem Profi, der auch unter Peter Stein gespielt hatte, coachen und führte in Freundes- und Bekanntenkreisen sowie auf Open-Stage-Veranstaltungen selbst erstellte Soloadaptionen von Teilen aus Faust I und II auf. (Mehr war geplant, aber dazu hatte ich zuwenig Ehrgeiz und zuviel zu tun.)
Die Website war ursprünglich als Interpretationsservice für meine Gäste gedacht. Sie ging 2008 ans Netz.
Meine Auftritte stellte ich 2014 aus Zeitgründen ein, aber an den Texten arbeitete ich weiter, ich fand es spannend, lebendig und unmittelbar verständlich über dieses Schlüsselwerk unserer modernen Zivilisation zu schreiben ohne inhaltlich trivial zu werden.
(1.2) Die Bürger-Medienrat-Initiative
Geschichten zu erzählen ist seit Menschengedenken eine Form, Probleme des menschlichen Lebens zu reflektieren und zu bewältigen. Das macht das Theater zur „moralischen Anstalt“ (Schiller), die den geistigen Reichtum der Kultur unter die Leute bringen soll. – Fernsehen ist Theater in moderner Form und für die meisten Menschen die einzige Form.
Ich fragte mich, warum ein Land, das den „Faust“ hat, keine bessere Fernsehspielkunst entwickelt, eine Kunst, die – wie z.B. in der Serie „The Wire“ – Unterhaltung mit Gehalt so gut zu verbinden versteht, daß es keinen drastischen Konflikt zwischen Quote und Qualität geben muß. – So kam es zu meiner Beschäftigung mit dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk.
Ich lernte mehr über Möglichkeiten und Grenzen institutionellen Handelns. Mir wurde klar, daß wir Bürger unsere Institutionen besser unterstützen müssen, statt uns von ihnen bedienen zu lassen und dann über sie zu meckern, wenn sie uns nicht das Gewünschte auftischen. Bestätigt fühlte ich mich durch einen Aufsatz von Elitz und Stammler vom Deutschlandfunk, die einen zivilgesellschaftlichen Diskurs über die Qualität öffentlich-rechtlicher Medien anregten. Das fand ich überzeugend und entwickelte meine Idee, wie wir Bürger das selbst in die Hand nehmen können, statt darauf zu warten, daß uns institutionelle Möglichkeiten dafür eingeräumt werden. – Darauf gab es bisher noch keine Resonanz. Immerhin erhielt ich auf meine „offenen Fragen“ Rückmeldungen von Intendantin Carola Wille, Justiziar Hermann Eicher und Ex-Programmchef Günther Struwe.
(Link zur Bürger-Medienrat-Initiative)
(1.3) Die Netzschrifteninitiative
Die dritte Entwicklungslinie der Website entstand durch Goethes Idee von „Parallelgeschichten“: Geschichten, die sich gegenseitig „bespiegeln“ und auf diese Weise interpretieren.
Ich bat daher auf meiner Website um Geschichten zu Themen aus dem „Faust“.
Aus diesen Geschichten entstand die Idee der „Netzschrifteninitiative“.
(Link zur Netzschrifteninitiative)
(2) Mitarbeit
Von Beginn an war ich offen für Mitarbeit. Ich bin aber Einzelkämpfer geblieben, unfreiwilligerweise.
Rike, meine Lebensgefährtin, ist meine „Auditorin“. Ich muß ihr alles vorlesen, alles darf nur durch ihre Ohren ins Netz. Und sie ist eine waschechte Berliner Schnauze, die nimmt kein Blatt vor den Mund: „Völlig unklar!“ – „Das interessiert doch keinen!“ – „Viel zu lang, ich bin längst ausgestiegen!“ – „Dröge!“ – „Versteh ich nicht.“
Rike ist schlimmer als mancher Lektor! – Urteilen Sie selbst, wie meine Texte davon profitiert haben!
Fidelia Jung, der Web-Designerin meiner Web-Site verdanke ich ebenfalls viel.
(3) Begründung für die Einreichung meiner Website beim Grimme-Online-Award
(3.1) Die bedeutenden klassische Kunstwerke, die zum Faszinierensten gehören, das je von Menschen geschaffen wurde, sind ein zivilisatorisches Potential, das durch die Hypertrophie medialer Angebote mehr und mehr verdrängt und verkannt wird, und nur noch von Bildungseliten ermessen werden kann. Dabei haben diese Monumente der Menschheit eine große Bedeutung für der Erhaltung und Entwicklung unseres zivilisatorischen Niveaus.
Die bisherigen Wege, Kultur zu vermitteln, sind unzureichend: zu dröge oder zu trivial.
Meine Website regt ein Kulturnetz an, in dem viele daran mitarbeiten können, mit frei zugänglichen optimal geeigneten Beiträgen die Zugänge zu den Monumenten zu erleichtern und attraktiv zu machen, Zugänge, die für alle begehbar sind und irgendwann – wie Wikipedia – immer nur ein Klick entfernt. – Dazu ist z.B. erfordert, daß Kommentare keine Mühe bereiten sondern Vergnügen, aber so, daß Gehalt und Prägnanz nicht im geringsten darunter leiden. (Dazu mehr in der neuen Inititativenidee zur Entstaubung klassischer Kunstwerke.)
(3.2) Meine Website nutzt eine Möglichkeit des Internets, die unspektakulär ist und soweit ich sehe noch kaum im öffentlichen Bewußtsein: Das Netz hat Zeit. Das macht unabhängig von schnellem Erfolg. Es eröffnet die Möglichkeit, Ideen jenseits von Mode und Media zu entwickeln, und ohne Druck und Stress in die Öffentlichkeit zu bringen nach dem Schneeballprinzip und unter dem Motto der Leute, die die Sümpfe urbar machten: „Den ersten der Tod, den zweiten die Not, den dritten das Brot“.
Auf diese Weise könnte auf Dauer ein bekannter Ort im Netz entstehen mit attraktiven, frei zugänglichen Sammlungen von Essays und Erzählungen, die qualitativ hochwertig sind wie von den besten Verlagen, aber von Leuten geschrieben, die keine Profis sind.
(3.3) Darüberhinaus bietet die Website eine neue Idee von Bürgerbeteiligung, bei der alle mitmachen können, die mehr wollen, als bloß ihre Meinung bestätigt fühlen. Meine Texte, Rechercheergebnisse und „Offenen Fragen“ zu ARD und ZDF bieten einen ersten modellhaften Entwurf, wie so eine neuartige Form der Beteiligung aussehen könnte.
Der Ausgang meiner Bewerbung:
Eigentlich war es klar, daß so eine Nischenthema-Website mit nur Tex und ohne spektakuläre digitale Mittel keine Chance hatte, nominiert zu werden.
Dennoch war meine Bemühung nicht umsonst: Ich kann nur dazu raten, sich zu bewerben. Es ist ein gutes Mittel, das eigene Projekt noch mal mit andern Augen zu reflektieren. Außerdem wirken die Leute vom Grimme Award sehr einladend.
Hier der Link zum Grimme-Online Award: https://www.grimme-online-award.de
Einer der Preisträger von 2024 ist mir wichtig hier zu verlinken: https://atlas.lastseen.org/