Weltgeschichten 2: Falsch berechnet

Daniel Seefeld

Falsch berechnet

Auf dem Planeten Kraha gab es die Tui und die Wuwa. Der Kontinent, auf dem ihr gemeinsamer Vorfahr gelebt hatte, war durch die Kontinentaldrift zerbrochen, und die Teile nach Süden und Norden verschoben worden. Die Tui waren in üppigem tropischem Klima entstanden, die Wuwa in Kargheit und Kälte, und beide waren durch einen unüberwindlichen Ozean getrennt und wußten jahrzehntausendelang nichts voneinander.

Die Wuwa waren Winterschläfer. Das hatte ihrer Hirnentwicklung Grenzen gesetzt: Ein Hirn, das regelmäßig monatelang seinen Stoffwechsel drosseln muß, kann einfach nicht so komplex werden, wie ein Tropenhirn. – Die Wuwa hatten zwar durch ihre Intelligenz Möglichkeiten entwickelt, für die Winter vorzusorgen, so daß sie eigentlich keinen Winterschlaf mehr nötig gehabt hätten. Doch auch wir können nicht einfach entscheiden, nur noch 2 Stunden zu schlafen, weil wir die Lampe erfunden haben!

Die Tui hatten mit ihrer höheren Intelligenz irgendwann begonnen, Maschinen, Fabriken und Schiffe zu bauen. Auf der Suche nach Erdgas hatten sie die Wuwa entdeckt. Aber weil es in den kargen nordischen Wüsten kein Erdgas gab, keine einladenden Landschaften und keine für das Bulfspiel geeigneten Großflächen, war es den Tui ziemlich egal gewesen, daß es da, wo sie sowieso nicht hin wollten, Wuwas gab, kleine pummelige, pelzige Wesen, die besser warten und fasten als jagen und feiern konnten, und die den Tui in Schlauheit, Werkzeug und Waffen weit unterlegen waren.

Aufgrund dieser glücklichen Gegebenheiten entstand eine dauerhafte Co-Existenz zweier unterschiedlich intelligenter Spezies auf einem Planeten.

Die Wuwa lebten im Einklang mit der Natur, sie stellten Fallen, fischten und gruben nahrhafte Knollen aus. Die Tui ruinierten mit ihrer Industrie die Lebensgrundlagen. Die Luuren, Kleinstlebewesen, die die Atemluft des Planeten erzeugten, starben in Massen. Den Tui fiel es trotz ihrer hohen Intelligenz schwer, die Tatsachen richtig zu bewerten, denn sie konnten schlecht verzichten. Sie fragten sich, ob Verzicht wirklich schon nötig sei. Der ganze Planet war doch so dicht durchsetzt mit Luuren, es gab sie im Überfluß und sie wuchsen schnell nach! Da mußte man doch nicht gleich die ganze Industrie drosseln!

Die Tui wußten um die Möglichkeiten von Kettenreaktionen, wußten aber nicht, ab welcher Todesrate der Luuren eine Kettenreaktion drohte. Darüber stritten sich ihre Wissenschaftler und jede Seite warf der andern vor, zu wenig Belege für ihre Einschätzung zu haben. Außerdem gab es viele verschiedene Bestandteile der Atemluft: Lösstoff, Härtstoff und  Spannstoff, sowie Spuren von Blähstoff und Zähstoff, und die Stoffe waren unterschiedlich wichtig und wurden von ganz unterschiedlichen Luuren erzeugt. Und man wußte, daß zur Not auch ohne Blähstoff und Zähstoff der Atemmix ausreichen würde.

Als es endlich Belege dafür gab, daß sofort etwas geändert werden mußte, war das Sterben jener Luurenarten, die den Blähstoff erzeugten so weit fortgeschritten, daß ihr Bestand nicht mehr zu erhalten war. Sie starben aus. Zwar war das Fehlen von Blähstoff für die Tui nicht gefährlich, auch wenn dadurch Leistungsfähigkeit und Lebenserwartung leicht reduziert wurde. Doch eine Art der Spannstoff erzeugenden Luuren waren auf Blähstoff angewiesen. Sie starben auch aus. Zwar konnten die Tui auch mit weniger Spannstoff in der Atemluft auskommen, doch einige der Lösstoff und Härtstoff erzeugenden Luurenarten nicht. Sie starben ebenfalls aus. Damit hatten die Tui nicht gerechnet. Die Luft verarmte zunehmend und immer mehr Luuren starben.

Die Atemluft auf dem Planeten verarmte schließlich so, daß auch die Tui ausstarben.

Die Wuwa haben bis heute nichts von der Veränderung gemerkt, ihre Gehirne sind einfacher, sie kommen mit gehaltloserer Atemluft aus.

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