Faustische Verblendung oder Trunkenheit am Steuer?

Sind Politiker und Topmanger ein Anwendungsfall von Goethes Formel für grandioses Scheitern?

Sie behaupten, nicht auf den Kopf gefallen zu sein, in hohem Alter sind sie selten und über ihren Alkoholkonsum verraten sie lieber nichts: die Very Important Persons unserer politischen und wirtschaftlichen Eliten. Ein irreversibles Hirnorganisches Psychosyndrom (HOPS) ist bei ihnen daher eher unwahrscheinlich, denn die unter diesem Begriff zusammengefassten Beeinträchtigungen von Denken, Erleben und Verhalten entstehen in der Regel durch hohes Alter, schwere Kopfverletzungen und langjährigen Alkoholkonsum.

Dennoch: Muß nicht gefragt werden, ob VW-Spitzenmanager, die einen weltweiten Betrug zu verantworten haben, nur eingeschränkt schuldfähig sind? Oder Politiker, die die Mietpreisbremse sabotieren, weil sie dafür erforderliche gesetzliche Regelungen verhindern – dann aber im Wahlkampf öffentlich feixen, die Mietpreisbremse habe ja gar nicht funktioniert? – Haben die VIP’s vielleicht ein VIPS (VerhaltensInduziertes PsychoSyndrom)?

Wenn jemand mehr als 12 Stunden täglich arbeitet, sollte das Vorliegen einer geistig-seelischen Beeinträchtigung diskutiert werden: Menschen, die fast nichts anderes tun als Arbeiten und wahrscheinlich wenig schlafen, kommen gar nicht mehr dazu, über ihr Tun, Erleben, Wissen und Denken nachzudenken. Sie können darauf nur noch mit ihren angelernten Denk-Reflexen reagieren, die sich unmittelbar in Überzeugungen umsetzen, denn Hinterfragen verbraucht Zeit und Konzentration. Sie befinden sich ständig in fahrlässigem Halbrausch.

Beim verhaltensinduzierten Psychosyndrom sind vergleichbare Symptome zu beobachten, wie beim hirnorganischen: verringerte emotionale Schwingungsfähigkeit; eingeschränkte Erlebnis- und Lernfähigkeit; Verlust an Kreativität; Fixierung auf eingeschliffene Denk- und Verhaltensweisen; zunehmende Ignoranz in Form der Unfähigkeit, Neues in seiner Bedeutung ermessen oder über den Tellerrand hinausblicken zu können.

Und auch darin ist das VIPS dem HOPS ähnlich: in der Unfähigkeit zur Einsicht in die Beeinträchtigung. Die Verringerung der geistig-seelischen Leistungsfähigkeit kann von den VIPSlern nicht wahrgenommen werden, weil ihnen ihr eingeschränkter seelischer Zustand zur Normalität geworden ist und weil dieser Zustand einhergeht mit überdurchschnittlicher Tüchtigkeit bezüglich Routineleistungen – „strengem Ordnen“ und „raschem Fleiß“, wie Faust es selbstgefällig von sich sagt.

Diese „gefühlte“ Leistungsfähigkeit gilt den Betroffenen als Gewähr dafür, geistig „auf der Höhe“ zu sein – so wie manche angetrunkene Autofahrer sich nie fahrtüchtiger fühlen als in angetrunkenem Zustand, und sich in diesem Gefühl bestätigt sehen durch jedes nur dem Glück zu verdankende Gelingen von Fahrmanövern, die sie im nüchternen Zustand als „russisch Roulette“ verwerfen würden. – Um dem Bild gerecht zu werden muß allerdings hinzugefügt werden: in Politik und Wirtschaft gilt als „gelingendes Fahrmanöver“ alles, was nicht zur Totalhavarie führt, also auch das Übersehen roter Ampeln, das Schrammen von parkenden Fahrzeugen, das Umnieten von Verkehrsschildern und das Überfahren von Passanten…

„Aus Mangel an Ruhe läuft unsere Zivilisation in eine neue Barbarei aus. Zu keiner Zeit haben die Tätigen, das heißt, die Ruhelosen, mehr gegolten. Es gehört deshalb zu den notwendigen Korrekturen, welche man am Charakter der Menschheit vornehmen muß, das beschauliche Element in großem Maße zu verstärken.“ (Friedrich Nietzsche)

Nachsatz: Wissen wir, ob den Spitzenverantwortlichen mehr Besinnung möglich ist? Wir sollten die Beantwortung dieser Frage nicht abwarten. Wir haben Demokratie: Wir Bürger sollten besser mitdenken und uns darum kümmern, daß von unserem Wissen und Denken, von unseren Fragen und Ideen mehr in die öffentliche Diskussion gelangt. – Aber das erfordert eben nicht Empörung, Wut und Schreierei, sondern Disziplin, Nachdenken, Recherche, selbstkritische Diskussion! Wie können wir von den Eliten Besonnenheit fordern, wenn wir selbst keine haben?

Meine Idee, wie wir den Leuten, die wir wählen, helfen können: Bürgerräte.

 

 

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