Amerikafeindlichkeit

von Daniel Seefeld 

1995. Zwei Männer in einem Cafe. Einer bläst Qualm in die Luft, der andere liest in einer Broschüre des CDU-Familienministeriums über Scientologie.

K: (Von seiner Lektüre aufschauend.) Ohne das rührige Engagement der CDU gegen Scientologie schmälern zu wollen – aber manchmal haftet ihren Aussagen unfreiwillige Ironie an. „Kirchliche Attribute werden von Scientologie benutzt um den Verkauf zu steigern“ les ich da grade. Darüber mokiert sich ausgerechnet eine kapitalistische Partei, die mit der Aufschrift „christlich“ auf Stimmenfang geht.

E: Ja, wenn es um Scientologie geht, dann fängt die CDU sogar an, das Gewinnstreben anzuprangern.

K: Das ist in diesem Falle auch noch Amerikafeindlich.

E: Amerikafeindlich? Wieso?

K: Na, nichts bringt doch den herrschenden Geist der „Neuen Welt“ besser zum Ausdruck, als die beiden ersten Sätze der Scientologie-Bibel: Make Money. Make more Money. Geldverdienen als Gottesdienst. Das ist der Geist der alten Puritaner.

E: Da erinnere ich mich an was… weißt du, daß ich in einer streng amerikafeindlichen Familie großgeworden bin?

K: Du? Das muß doch in den frühen sechzigern gewesen sein. Da gab es soetwas schon?

E: Und ob! Wir waren katholisch!

K: Was hat denn das mit Amerikafeindlichkeit zu tun?

E: Ich kann mich z.B. noch erinnern, daß meine Mutter den Jazz abschätzig „Negermusik“ nannte. Es galt bei uns noch als anrüchig, sowas zu hören. Und Kaugummi, Turnschuhe und Kokakola galten als eindeutige Zeichen kulturellen Zerfalls.

K: Damit waren sie wohl nicht allein. Und – den Jazz ausgenommen – ist es ja an sich auch nicht die dümmste Abneigung.

E: Aber im Falle meiner Eltern gilt der Ausspruch eines Historikers über die vormodernen Wissenschaften: Sie irren selbst da, wo sie recht haben. Denn das, was von den Amis rüberkam wurde von ihnen ja nicht deshalb abgelehnt, weil es das war, was es war: von gewinnsüchtigen Konzernen den Leuten aufgeschwatzter Schwachsinn, sondern weil sie ganz einfach ignorant waren gegen alles neue und ungewohnte…

K: … und vermutlich weil es mehr und mehr zum Attribut einer Jugendbewegung wurde, die weit freizügiger und lebensfreudiger war als ihre von der Hitlerzeit geprägten Vorstellungen es erlaubten.

E: Genau. Aber das beste war die Sache mit den Jeans: Wir durften keine Jeans tragen. Unsere Versuche in diese Richtung endeten jedesmal in einer Familienkatastrophe. „Texashosen“ hießen die Jeans bei uns noch. Wir durften sie nicht tragen, weil wir doch schließlich keine Kuhjungen seien. – Das hätte mal der benachbarte Bauer hören sollen, bei dem wir jeden Abend unsere Milch holten! Sonntags morgens waren noch alle einträchtig in der Kirche – aber kaum hatten sie ihren Gott wieder in seinen Tabernakel gesperrt, gab’s keinen mehr, vor dem alle gleich waren, und das Klassenprestige florierte. – Doch die eigentliche Ironie liegt noch woanders: Ein Bekannter von mir ist „drüben“ aufgewachsen, in der „Ostzone“ wie es bei uns noch hieß. Was die Jeans und den Jazz angeht, hat er ganz ähnliche Erfahrungen gemacht: er wäre beinahe vom Gymnasium geflogen, weil er sich weigerte, andere Hosen als Jeans zu tragen. Beide, seine Direktorin und mein Vater, waren in ihrer Jugend für ihre verfeindeten Ideale jahrelang Lebensgefahr ausgesetzt gewesen: er in Schlamm, Schnee und Stahlgewittern, sie im Gestapo-Knast. Und nach dem Krieg standen deshalb auch beide voll hinter der atomaren Aufrüstung ihres jeweiligen Regimes. – Da haben wir also zwei alte Todfeinde, so verfeindet, daß sie lieber die ganze Welt verbrennen sehen, als daß einer klein bei gibt – aber gegen ihre Kinder stehen sie einmütig zusammen – wegen einer Hose!

K: Dabei hätten sie nur die Vorzeichen austauschen müssen. – (eine kurze pause tritt ein) – Weißt du noch, Mitte der achziger Jahre, als das Wort „Amerikafeindlichkeit“ seine Hochkonjunktur hatte? Wir galten als amerikafeindlich, weil wir gegen Ronni waren, gegen Kriegstreiberei, Kapitalismus und Kabelfernsehen. Daß wir Peirce, Mead und Parsons studierten, uns für die Musik von Ives und Cage einsetzten, für eine Edward Hopper Ausstellung nach Frankfurt reisten, Melville, Whitman und Eliot lasen – das zählte nicht.

E: Tja, wir waren offenbar an das falsche Amerika geraten.

(Geschrieben 1998. Veröffentlicht 2014)

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