Faust und Margarete

Faust ist im Konflikt zwischen seiner Liebe zu Margarete und seinem Erlebnishunger: Die Liebe verlangt Verbindlichkeit, der Erlebnishunger Walpurgisnächte.

Fausts Problem ist, daß er durch seine unreflektierte Streberei nach dem ultimativen Erleben des Menschseins die Forderungen zwischenmenschlicher Verantwortung falsch einschätzt. Dadurch fehlt es ihm an Bereitschaft, die Beziehung zu Margarete seinen eigenen konflikthaften Motivationen gemäß zu gestalten.

Er hätte nicht mehr Nähe zulassen dürfen, als mit seinem inneren Konflikt vereinbar. Oder spätestens, als er merkte, daß es schief lief, hätte er nicht ins Gebirge abhauen dürfen, sondern ihr sagen müssen, wie es um die Beziehung steht, und Verantwortung übernehmen für alles, was er durch sein Ungestüm angerichtet hat.

Faust hat offenbar kaum Beziehungserfahrung. Deshalb kann er nicht einmal voraussehen, wie er sich selbst durch die Verbindung mit Margarete verändert. Um das zu beschreiben, können moderne Konzepte aus Neuropsychologie und Bindungstheorie genutzt werden: Wir sind von der Biologie auf Beziehung programmiert, was allein schon an der Sprachfähigkeit abzulesen ist. Beziehungen verändern unser Gehirn. Das, was wir an Glückserfahrungen mit einem andern Menschen machen, vergessen wir nie mehr. Und diese Erfahrungen sind unaustauschbar, unverwechselbar, unersetzbar, wegen der Einzigartigkeit jedes einzelnen Menschen, die das gemeinsame Erleben und das Erleben der Gemeinsamkeit prägt. Vieles davon sinkt ab ins implizite, bewußtlose Gedächtnis: ist uns bewußt gar nicht mehr verfügbar, wir denken nicht dran, spüren es nicht, und es ist trotzdem da.

Nach der Helena-Episode gerät Faust beim Betrachten der Wolken in einen hypnotischen Zustand – und wer hat darin das letzte Wort? Nicht Helena, sondern Margarete ist diejenige, die „das Beste seines Innern“ mit sich fortträgt.

Fausts Bindungsfähigkeit scheint gut ausgeprägt zu sein. Das bedeutet, daß seine Beziehungsfähigkeit ebenfalls von der Anlage her gut sein muß, lebensgeschichtlich bedingt jedoch schlecht ausgeprägt ist.

Deshalb wird er von der Muttergottes am Schluß dazu verdonnert, Erzieher der „seligen Knaben“ zu werden. Die Bengels werden seine Beziehungsfähigkeit schon auf Trapp bringen…

Weiterlesen: Wikipedia-Artikel zum Impliziten Gedächtnis

Zum Überblick über das Drama: Deutende Inhaltsangabe

 

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