Stoffwechsel, ein Alptraum

Aus den „Fantasien“ von Daniel Seefeld

Sie sagen, ich soll schreiben, ich sei der Letzte von den Ersten.

Ich erinnere es, als wär es gestern gewesen: Es war ein wolkenloser Hochsommermorgen voller Verheißung. In der ersten Helle fuhr ich los, zu Lara.

Die Autobahn war noch ganz leer. – Nach einer halben Stunde sah ich mehrere stehende Fahrzeuge, offenbar ein Unfall. Die Menschen standen ratlos herum. Als sie mich sahen, gestikulierten sie stark, um mich anzuhalten. Einer rannte auf den letzten Metern auf mich zu und bat, den Motor nicht auszuschalten. Er sprach von einer Ökokatastrophe.

Die Autobahn brach abrupt ab. Es war eine gleichförmige Fläche zu sehen, als seien die Felder bereits abgeerntet. Als ich sie betrat, war sie fest wie Stein. Ein Lastwagenfahrer hatte mit einem Wagenheber ein Loch hinein gebrochen. Es handelte sich um eine Art Kruste, beindick, darunter befand sich eine seltsam schleimige Masse. Sie war hoch ätzend, der Zersetzung des hinein gehaltenen Metalls konnte man zusehen.

Zwei Männer kamen von den überkrusteten Hügeln zurück. Sie schilderten, wovon ich mich danach selbst überzeugte: von den Hügeln sah man bis zum nächsten Hügelkamm nur verkrustete Fläche. Die vereinzelten Dörfer, die hier gestanden haben mußten, waren weg, was mit den Menschen geschehen war, war unklar.

Der Lastwagenfahrer berichtete, in der Nacht soetwas wie Polarlichter gesehen zu haben. Der Funk sei ausgefallen. Dann sei die Autobahn plötzlich abgebrochen. Mit den später eingetroffenen Fahrern hätte er versucht die Leitplanke zu demontieren, um zu wenden und zurückzufahren, aber sie hätten nicht mehr starten können, die Batterien seien leer gewesen, rätselhafterweise.

Ich gab denen, die wenden wollten, Starthilfe, stand aber mit den andern noch weiter unschlüssig herum. Die Aussicht, Lara heute nicht mehr in die Arme zu schließen, machte mich wütend. Ich war drauf und dran, mit dem Wagen über die Kruste zu fahren, doch der Lastwagenfahrer warnte eindringlich vor der Unberechenbarkeit.

Irgendwann trafen Polizisten ein. Auch sie waren ratlos, hatten keinen Funk, konnten nichts melden und keine Anweisungen entgegennehmen. Sie konnten nichts weiter tun, als den zunehmenden Verkehr auf die Gegenfahrbahn umzuleiten, zur Rückkehr.

Schließlich trat auch ich die Rückkehr an. Ich konnte es nicht fassen, Lara heute nicht mehr zu sehen, und schlug immer wieder wütend auf das Lenkrad. Mehrmals versuchte ich, die Kruste weiträumig zu umfahren, ich hoffte jedes Mal ungeduldig, an ihr vorbei zu kommen – vergeblich. – Gegen Abend gab ich auf und fuhr ins Dorf zurück, wütend und verärgert, auf Lara verzichten zu müssen und einen ganzen Urlaubstag im Auto vergeudet zu haben.

Ich hoffte, zu Hause eine Festnetzverbindung zu Lara zu bekommen. Auch da wurde ich enttäuscht. – Jetzt konnte ich nur noch hoffen, daß sie in den Nachrichten von der rätselhaften Umweltkatastrophe gehört hatte, die Mecklenburg vom Rest der Welt abschnitt.

 

2

Ich war damals Anfang 20 und betrieb mit meinem Vater an der Müritz einen kleinen Rundflugbetrieb für Touristen. Nach der Wende hatte er billig eine Piste der Landwirtschaftsflieger erworben. Dort stand unser Doppeldecker, ein selbstgebautes historisches Modell. Es kam uns jetzt zugute, daß wir uns nichts Historisches erspart hatten, und der Motor mit Startpatronen gestartet wurde. Mit unserem Aktionsradius von 250 Kilometern konnten wir bis weit hinter Berlin und zurück fliegen.

Kaum in der Luft, sahen wir in der Ferne die öde gelbe Fläche. Unser Entsetzen wurde immer größer: Je weiter wir auch krusteneinwärts flogen, wir sahen kein Ende! Soweit das Auge reichte war das Land mit diesem einförmigen gelben Brei überzogen, der alles unter sich begraben hatte, Straßen, Höfe, Dörfer, Seen! – Allerdings gab es immer wieder Grünstreifen, teilweise kilometerlang und mehrere hundert Meter breit. Die Menschen, die dort von der Kruste überrascht worden waren, standen ratlos an den Rändern.

Einmal sahen wir einen einsamen Hof, das Wohnhaus war verschwunden, ein Teil der Stallungen stand noch. Wir sahen zwei Kinder kauern, ein paar Kühe liefen umher. Wir landeten.

Die Kinder hatten aus Jux einige Tage im Stall bei den Tieren geschlafen, das hatte sie gerettet. Sie standen unter Schock. Sie hatten die Kruste an vielen Stellen aufgebrochen um ihre Eltern zu suchen, aber überall gab es nur schleimige ätzende Masse.

Sie wollten nicht mit uns kommen. Sie wollten auf ihre Eltern warten. Sie hatten das zwar schon den ganzen gestrigen Tag getan, aber es war selbst für uns unfaßbar, daß die Eltern einfach weg sein sollten. Wir suchten mit ihnen noch einmal alles ab und durchpflügten regelrecht den ganzen Grund, auf dem das Haus gestanden hatte, obwohl eigentlich klar war, daß wir nur ätzenden Brei finden würden.

Nach einigen Stunden entdeckte ich etwas, was ich gestern an der Autobahn noch nicht bemerkt hatte: Die Kruste wuchs! Langsam aber sicher. Spätestens in ein paar Tagen würde sie sich den Rest des Hofes einverleibt haben.

Am späten Nachmittag konnten die Kinder die Wahrheit nicht mehr verleugnen und kamen mit. Die Mädchen waren tapfer: die ältere erschoß eigenhändig die Tiere, weinend.

Von Berlin war keine Spur zu sehen. Oder doch: Spuren. Die Fläche war hier deutlich unregelmäßiger. Sie erinnerte schwach an die Auswölbungen einer Riesenschlange, nachdem sie ein Kalb verschlungen hat. – Wir hatten die Kinder im Unklaren über unser Ziel gelassen. Unsere Erschütterung über die ausgelöschte Großstadt ließen wir uns nicht anmerken.

Am nächsten Tag flogen wir die Kinder zu ihrer Tante nach Rostock. Der Zugverkehr war lahmgelegt, es gab keine Elektrizität. Funk fiel weiterhin aus.

Am Tag darauf fuhr ein Polizeifahrzeug durchs Dorf und versicherte per Lautsprecher, daß keine Gefahr bestehe und die Versorgung sichergestellt sei.

Wir schafften unsere Treibstoffvorräte an das Autobahnende, um die Fläche noch weiter erkunden und weitere Überlebende retten zu können. Soweit wir auch flogen: die Kruste war unabsehbar nach allen Richtungen. Mehrmals sahen wir Gruppen von Menschen, die durch Hunger und Durst aus ihren Enklaven getrieben worden waren. Sie wirkten verstört. Sie hatten keine Ahnung, in welche Richtung sie sich wenden sollten. Keiner hatte Hoffnung. – Wir konnten ihnen wenigstens den Weg weisen.

Erst hinterher fiel mir auf, daß ich zu diesem Zeitpunkt wie selbstverständlich davon ausgegangen war, daß die Kruste nicht bis Weimar reichte, daß irgendwo südlich von Berlin wieder alles in Ordnung sein müsse, daß es gar nicht anders sein könne.

Wir sahen jetzt immer öfter Militärhubschrauber, die Eingeschlossene retteten. Die verbliebenen staatlichen Einrichtungen schafften es, Recht, Ordnung und Versorgung aufrecht zu erhalten, mit Infoblättern oder Lautsprecherwagen wurden die Bürger regelmäßig informiert.

Nach zwei Wochen wurden die ersten Untersuchungsergebnisse freigegeben. Sie waren schockierend. Doch weit größer war mein Schock, als ich die Luftbilder von Weimar sah, die ich als Angehöriger einsehen durfte: Es gab dort weit und breit keine einzige Enklave, nur Kruste, flächendeckend. Ich mußte davon ausgehen, daß Lara tot war. Ich war fassungslos und hätte beinahe meinen Kopf gegen die Wand geschlagen. Einen größeren Schmerz habe ich in meinem Leben nie wieder empfunden, trotz allem, was noch kommen sollte.

Mehr als zwei Drittel der Landoberfläche der Erde war verkrustet. Mehrere Milliarden Menschen waren darunter begraben. Überall, wo man unter der Kruste nach Überresten von Häusern, Dingen und Menschen gesucht hatte, hatte man nur den hochätzenden Brei gefunden. Es war rätselhaft, worum es sich handelte. Es verhinderte allen Funk. Elektrizität konnte nicht weiter als 4 Meter transportiert und nicht länger als eine halbe Stunde gespeichert werden. Wieso war unklar.

Telefon, Internet, Rundfunk: alles blieb tot.

Pro Stunde fraß sich die Kruste mehr als ein Meter weiter ins Land, in 40 Tagen fast einen Kilometer. Das war aber kein Grund zur Panik, weil das Wachstum der Kruste langsam genug war, um eine Problemlösung erwarten zu können, bevor es im wahrsten Sinne des Wortes „eng“ würde.

Nach weiteren Wochen gab es die ersten Forschungsergebnisse: Es mußte aus dem Weltraum stammen. Es ließ sich zertrümmern bis zu einem Feinstaub mit Partikeln im Nanobereich. Das Elektronenmikroskop zeigte die Partikel als vollendete glasklare Kugeln. Ab einer gewissen Menge Staubes konnte mit dem bloßen Auge ein schwaches Fluoreszieren in allen Regenbogenfarben beobachtet werden, bevor der Staub sich wieder zu einer gelblichen Kruste verbug, deren Rand, dort, wo sie auflag, schleimig wurde und sich durch alles durchfraß – durch alles! – Genauer: Es verwandelte, verstoffwechselte alles unter sich in Kruste. Ließ man es liegen, lag es irgendwann ballgroß auf dem Boden des tiefsten Kellers und wuchs dort, unaufhaltsam, in Breite und Tiefe. Die Kräfte, die am Werk waren, blieben unerklärlich.

Der ätzende Brei fraß sich immer tiefer ins Erdinnere und ließ die Kruste immer dicker werden. Sie begann, sich unseren Planeten einzuverleiben.

Ab einem Gewicht von 10 Kilogramm pro Quadratmeter wurde auch auf der Krustenoberfläche eine Ätzreaktion ausgelöst, je schwerer das Gewicht, desto eher: Zwischen 10 und 20 Kilogramm dauerte es mehr als 8 Stunden bis zur Ätzreaktion, ein auf die Kruste gefahrener Panzer wurde bereits nach 2 Minuten angeätzt. Ein Erwachsener konnte keine drei Stunden auf der Kruste schlafen, ohne die Ätzung auszulösen.

Nach drei Jahren hatte die Kruste unseren kleinen Flugplatz erreicht, wir wurden zu Flüchtlingen. Nach 7 Jahren gab es überall auf der Welt immer häufiger kleine Erdbeben, aber ohne nennenswerte Schäden. Nach 8 Jahren nahmen diese Beben an Häufigkeit und Heftigkeit zu, die Wirtschaft – durch die Flüchtlinge längst bis an die Grenze belastet – begann zusammenzubrechen, und wo Chemiewerke und Tanklager zerstört wurden, gab es ausgedehnte Ökokatastrophen.

Nach 10 Jahren hatte sich die Kruste überall 400 Kilometer weiter ins Land gefressen. – Wir waren, wie viele Millionen anderer auch, längst in Norwegen evakuiert, dicht gedrängt. Es gab die ersten Versorgungsengpässe und Platzprobleme. Bis dahin war trotz der Erdbebenkatastrophen alles sehr diszipliniert abgelaufen, jetzt begann die Lage zu kippen.

Alle Hoffnungen in die Wissenschaft waren zerschlagen. Die Wissenschaftler konnten nur mit beunruhigenden Fakten aufwarten: Die Kruste hatte sich bereits über 500 Kilometer tief in die Erde gefressen. Und je tiefer die Kruste drang, um so schneller fraß sie sich auch an der Oberfläche voran. Der überkrustete Meeresboden hatte sich stellenweise um mehr als 2000 Meter gehoben, wieso blieb rätselhaft. Der Meeresspiegel war dennoch nicht nennenswert angestiegen. Offenbar saugte die Kruste das Meer auf.

 

3

Es begann überall ähnlich: Hinter den Lagern stand die Armee und vor den Lagern bildeten sich neue Lager. Und als die Kruste sie erreichte, drängten sich die Menschen, es kam zu Gewalt.

Überlebende berichteten von unvorstellbaren Szenen, in denen Zivilisten mit Küchen- und Gartengeräten aufeinander losgingen. Manchmal verbündeten sie sich aber auch und griffen die Armee an, der Tod auf der Kruste war nicht nur gewisser, auch grausamer als der durch eine Kugel. Die Armee zog sich vor der Kruste zurück, und die, die von ihr vor den Flüchtlingen geschützt worden waren, wurden zu selbst Flüchtlingen, die von der Armee aufgehalten werden sollten.

Ich hatte das Glück gehabt, zu einer der ersten großen Flüchtlingswellen zu gehören, als man noch davon ausging, daß die Kruste bald gestoppt werden könnte. Norwegen hatte damals den schmalen Streifen Deutschlands, der noch übrig geblieben war, entlastet, und uns aufgenommen. Wir waren die letzten gewesen, die auf die Städte im Hinterland verteilt wurden. Als die Kruste aus der Ostsee herauswuchs und die Menschen aus den Lagern an der Küste vertrieb, fühlten wir uns schon wie Skandinavier, die ein Recht hatten, sich gegen diese Flüchtlingsinvasion zu schützen. Aber dann bekamen wir zu spüren, wer das Recht der angestammten Scholle in Anspruch nehmen durfte und wer nicht.

Ich will euch Einzelheiten über die Schrecken, Wirren und Greuel ersparen, über die Völker- und Brüdermorde, die Bürgerkriege und Schreckensherrschaften, die sich nach und nach überall auf dem Rest der bewohnten Welt Bahn brachen. Alles, was die Geschichte der Menschheit an Schmerz, Verzweiflung und Tod, an Grausamkeit, Skrupellosigkeit und Niedertracht kennt, schien sich zu einem Horrorfinale zu bündeln. Das Morden nahm kein Ende, es gab schließlich niemanden mehr, der nicht vielfach in der Situation „Du-Oder-Ich“ eine Entscheidung hatte treffen müssen. Wer überleben wollte, mußte morden, und je unvorstellbarer die Schuld wurde, desto besinnungsloser mordeten wir weiter. Erst nach milliardenfachem Mord entstand buchstäblich wieder Raum zur Besinnung.

Wir, der Rest der Menschheit, mußten uns auf Schiffe evakuieren, und alles, buchstäblich alles, dessen wir noch habhaft werden konnten, verwandelten wir in Schiffe und Ausrüstung. Hastig wurden die Bodenschätze gehoben, ja, der Boden selbst wurde zum Schatz. So viel Material wie möglich retteten wir, in dem wir es auf der Kruste so flächig verteilten, daß keine Ätzreaktion ausgelöst wurde. Jeder Zentimeter der Schiffdecks wurde zu landwirtschaftlichen Anbauflächen. Darunter waren unsere Wohnungen, darunter Fabriken, Lager, Tanks.

Aber wir wußten, daß das nur eine Übergangslösung sein konnte: Es war längst klar, daß dieses Etwas, was es auch war, sich den Planeten völlig anverwandeln würde. Bald würde es kein Meer mehr geben. Und dann würden wir nur überleben können, wenn wir halb in der Luft hingen: Wir bereiteten uns darauf vor, mit riesigen Ballons das Gewicht unserer Lebensräume so zu erleichtern und zu verteilen, daß keine Ätzreaktion ausgelöst würde. Mehr und mehr wurde klar, wie viele Menschen in solchen „Hängearchen“ dauerhaft überleben könnten. Dafür waren wir immer noch viel zu viele…

 

4

Die auf 19 Millionen Menschen geschrumpfte Menschheit verteilte sich auf 80 Flotten, jede mehr als 1000 Schiffe stark. – Alle Versuche, die Telekommunikation wieder herzustellen, waren gescheitert. Um miteinander Kontakt zu halten, nutzen wir Segelboote, denn jeder Tropfen, jeder Krümel war kostbar wie Gold, zu kostbar, um verfeuert zu werden. Später, als die Ozeane auf ein paar Pfützen schrumpften, die die Flotten von einander trennten, bauten wir Radsegler, um miteinander in Verbindung bleiben zu können.

Auf den meisten Flotten beschlossen die Menschen, daß alle ab 70 freiwillig in den Tod gehen sollten, und als absehbar war, daß das nicht reichte, wurde das Alter auf 65, dann 60 und schließlich 55 reduziert. Aber das reichte immer noch nicht. Doch scheiterte diese Regelung ohnehin daran, daß sich immer mehr Menschen nicht daran hielten. Zunächst waren es nur einige wenige gewesen, dann hatten mehr und mehr sich gesagt: Wenn die sich nicht dran halten, funktioniert es sowieso nicht, wieso sollten wir uns dann daran halten?

Als nächstes hörten wir, daß einige Schiffe begonnen hatten, sich gegenseitig zu bekriegen. Angefangen hatte es damit, daß mehrere Schiffe sich zusammengetan hatten, um andere zu kapern und sich deren Heliumvorräte einzuheimsen. Helium galt als das Allerwertvollste, denn die hochexplosiven Wasserstoffballons würden über uns schweben wie Damoklesschwerter. – Die andern Schiffe verbündeten sich, um das Helium zurück zu erobern. Bei diesem Krieg wurden die Tanks beschädigt und der größte Teil des Heliums ging verloren.

Anstatt daraus zu lernen, war dieser Krieg der Auftakt zu weiteren Kriegen um die Überlebensressourcen, vor allem um Energie und Rohstoffe sowie um die Maschinen zum Erzeugen von Wasserstoff und zum Herstellen von Ballonstoff. Bei jedem Krieg wurden auch für die Sieger weit mehr Ressourcen vernichtet als gewonnen, so daß ein Krieg den nächsten anstachelte.

Auf keiner einzigen Flotte vermochten die Menschen, sich dieser eskalierenden Logik zu entziehen, Kriegsmüdigkeit und Friedensbereitschaft wurden durch die kriegsbedingt immer weiter wachsende Diskrepanz zwischen Ressourcen und Bevölkerungszahl immer wieder unterlaufen. Ein weiteres Mal mußten wir erst genug Tod und Schrecken erlebt und tief genug in den Abgrund der völligen Vernichtung geblickt haben, bevor wir begannen, Frieden zu schließen, um nicht die letzte Chance zu verpassen, uns für das Überleben auf der Kruste einzurichten.

 

5

Die Schiffe wurden nach und nach in Hängearchen verwandelt. Riesige Ballons wurden möglichst weit voneinander entfernt in verschiedenen Höhen aufgelassen, so daß eine Explosion nicht zu einer Kettenreaktion führen konnte. Eine Gasreserve für mehrere Ballons wurde in Kompressoren einbehalten.

Es war abzusehen, daß irgendwann kein Wasser mehr auf der Kruste stehen würde, wir konnten in der Zukunft nicht mehr mit Regen rechnen. Wir produzierten hastig soviele Flachschläuche wie möglich, um möglichst viel Wasserreserven so auf der Kruste zu verteilen, daß keine Ätzreaktion ausgelöst wurde. Und wir schufen geschlossene Kreisläufe: Wir ließen nichts mehr unter freiem Himmel wachsen und es gab keinen Abfall mehr, alles, was die Kruste noch übriggelassen hatte, war unendlich wertvoll, selbst unsere Exkremente. Wir erlebten deutlicher als es jemals zuvor Menschen erleben konnten, was es bedeutet, Teil eines Kreislaufs zu sein, eines Stoffwechsels.

Die Archen waren bis auf das letzte Gramm ausgereizt und ausgeklügelt. Sie waren bis zu einem Quadratkilometer groß. Um das Gewicht ständig verlagern zu können, waren sie auf Röhren montiert, ummantelt mit Reifen, die halb platt auf der Kruste auflagen. Für die ständige Bewegung sorgten Wind und Sonne. Heizenergie war entbehrlich, weil sich alle Archen rund um den Äquator verteilten.

 

6

Nach unseren Berechnungen hätten wir ursprünglich Überlebensressourcen für vier Millionen Menschen gehabt, aber die kriegsbedingten Zerstörungen und Verzögerungen hatten zu enormen unwiederbringlichen Materialverlusten geführt, so daß auf allen Archen zusammengenommen nur einige Tausend Menschen überleben konnten. Es war klar, daß uns erneut, zum vierten Mal, ein großes Sterben bevorstehen würde, weil nur einer von 1000 der jetzt noch Lebenden dauerhaft ernährt werden konnte. Diesmal wollten wir alles dafür tun, einen weiteren Krieg ums Überleben zu verhindern.

Überall setzte sich durch, daß über Leben und Tod per Los entschieden werden sollte, und sich jeder darauf vorbereiten müsse, daß es ihn treffen könne. Insgeheim glaubte jedoch niemand, daß die Betroffenen sich an die Losentscheidungen halten würden. Es wurde befürchtet, daß doch wieder ein Krieg entbrennen würde, und daß die Ballons nicht hinreichend geschützt werden könnten. Das hätte das Ende der Menschheit bedeutet. Deshalb war klammheimlich klar, daß das große Sterben die Form eines großen Meuchelmordes annehmen würde. So kam es auch:

In jeder Flotte bildeten sich verschworene Gruppen. In jeder Flotte kam es zu Handstreichen, in denen die zuerst Zuschlagenden die anderen töteten oder entwaffneten. Die Entwaffneten mußten sich fügen und die Flotten verlassen.

Die meisten Überlebenden zogen es vor, sich umzubringen statt auf der Kruste zu verschmachten. Keiner von uns Überlebenden wird die Szenen vergessen, wie verdurstende Menschenmengen gegen Maschinengewehrstellungen anrannten und niedergemetzelt wurden.

Andere unterlegene Gruppen entwickelten sich zu Piraten. Sie lebten auf Lastenseglern und tauchten von Zeit zu Zeit auf, um die Archen zu überfallen. Irgendwann erledigte sich das Piratenproblem von selbst, weil den Piraten die Munition ausging.

 

7

Die Fliegerei ist mein Leben. Schon in Norwegen hatte ich mich für eine Sache engagiert, der zu dem damaligen Zeitpunkt niemand Bedeutung beigemessen hatte: Ich hatte mich den Solarflugpionieren angeschlossen, die trotz der schweren Zeiten unermüdlich Wege und Mittel gesucht hatten, die Solarfliegerei zu optimieren. Ich war der letzte Vertreter meines Fachs.

Es dauerte noch viele Jahre, bevor das Fluggerät fertig war. Es waren hochspezielle Probleme zu lösen gewesen: Um auf der Kruste übernachten zu können mußte durch Einfahren des Fahrwerks und Verschieben der Motoren nach der Landung das Gewicht gleichmäßig verteilt werden. Das Cockpit war offen und wo nicht Flügel war, war Gestänge.

In den Jahren meiner unermüdlichen Arbeit an der Entwicklung des Fliegers gingen weitere Veränderungen mit unserem Planeten vor, falls wir überhaupt noch davon sprechen konnten, daß es der unsere war. Der Umfang des Planeten dehnte sich immer weiter aus, die Masse blieb jedoch gleich.

Schon in den Wirren des Überlebens hatten wir mit bloßem Auge erkennen können, daß auch der Mond sich wandelte und die Astronomen fanden heraus, daß auch Mars, Venus und Merkur von der Kruste befallen waren und sich „aufblähten“. Darüber hinaus gelang es den Wissenschaftlern, festzustellen, daß alle von der Kruste befallenen Planeten über ein elektrisches Feld miteinander verbunden waren. Das nährte viele Fantasien.

Ich unternahm regelmäßig Erkundungsflüge. Dabei entdeckte ich überall auf der Kruste Überreste von Enklaven, die versucht hatten, zu überleben, indem sie riesige Bodenplatten gebaut hatten, auf denen sich das Gewicht so verteilte, daß die Kruste nichts merkte. Sie hatten darauf eine spärliche Landwirtschaft betrieben und teilweise mehrere Jahre überlebt, hatten aber nicht genügend Ressourcen oder Wissen gehabt, geschlossene Kreisläufe zu bilden, oder sie hatten in den Kämpfen darum, wer überleben durfte, ihre Überlebensressourcen zerstört. – Einige dieser Bodenarchen waren von Piraten gekapert worden. In den Ruinen fand ich Skelette, gezeichnet von grausamen Toden.

 

8

Die Kruste war völlig eben. Einigen kleinen Unebenheiten, die ich dann und wann überflog, schenkte ich keine Aufmerksamkeit. Ich wußte noch nicht, daß sich daraus etwas entwickeln würde, was unser Bild von der Kruste völlig verändern sollte, allerdings in einer Weise, die noch weit mehr Rätsel aufgibt.

Mit der Zeit merkte ich, daß diese Unebenheiten wuchsen! Zuerst wie riesige Maulwurfshügel, dann brachen sie in der Mitte auf, so daß sie aussahen, wie Pickel, und später wie Krater: kreisrunde Wülste die eine Senke umschlossen, etwa 1000 Meter im Durchmesser und an der tiefsten Stelle an die hundert Meter tief. Als ich zur Erkundung der Krater so tief herunterging, wie es gefahrlos möglich war, konnte ich erkennen, daß sich an der tiefsten Stelle ein Loch auftat.

Die Krater waren selten. Wir konnten hochrechnen, daß es auf dem ganzen Planeten maximal einige hundert von ihnen gab. Ohne meine Fliegerei hätten wir sie wohl nie gefunden.

Als Entdecker dieser Eingänge ins Innere der Kruste leitete ich die erste Expedition.

Hinter den Eingängen fanden wir eine einfache klare Struktur: Eine Art riesiger Rampe führte spiralförmig in Innere. Neugierig wanderten wir hinab. Die Spirale schien endlos. Wir holten ein Fahrzeug und ließen uns immer tiefer hinunter rollen, 10, 20, 30 Kilometer. Dann mußten wir abbrechen. Alles, was wir bemerkt hatten, war, daß die Spirale sich nach allen Seiten vergrößert hatte und steiler geworden war.

Die zweite Expedition statten wir mit einem Motor aus und mit Sprit für mehrere hundert Kilometer. Wir hatten sehr viel Neugier erwecken und unermüdlich sammeln müssen, um eine solche Menge Treibstoff zu bekommen, denn soviel wir von den Verbrennungsprodukten auch aufzufangen verstanden: es ging immer etwas unwiederbringlich verloren.

Abwärts ließen wir uns wieder rollen, weiter und immer weiter in die Tiefe hinab auf einer größer und steiler werden Spirale in ewiger Nacht. Nach mehr als 300 Kilometern wurde mir mulmig wegen des beträchtlichen und immer schneller zunehmenden Gefälles. Ich ließ stoppen, als erfahrener Pilot vertraute ich meiner Angst. Mit angezogener Bremse rollten wir vorsichtig weiter, bis die Scheinwerferbatterien entladen waren und wir im Dunkeln saßen.

Während wir noch beratschlagten, ob wir im Dunkeln weiter nach unten rollen oder zurückkehren sollten, meinte jemand, einen schwachen Lichtschein wahrzunehmen. Wir hielten es für Einbildung. Wir ließen die Wagen langsam weiter rollen. Nach weiteren Windungen – der Durchmesser  einer Windung betrug mittlerweile fast 20 Kilometer – teilten alle den Eindruck eines schwachen Scheins, aber es wurde so steil, daß wir zu rutschen begannen und zurück mußten.

Der Eindruck der Helligkeit reichte nicht, um verläßlich zu sagen, ob wir die Hand vor Augen wirklich wahrnehmen konnten oder uns das nur einbildeten. Doch es gab keine Möglichkeit, weiter in die Tiefe vorzudringen. Die Spirale gab ihr Geheimnis nicht preis.

Unsere Enttäuschung war unermeßlich.

Auf dem Rückweg ersonnen wir die Idee, mit einem Ballon zurückzukehren. Allerdings war klar, daß es Jahre dauern würde, das erforderliche Gas zusammen zu bekommen.

Es wäre nicht in Ordnung gewesen, meine Entdeckung der Öffentlichkeit vorzuenthalten. Deshalb konnten wir nicht verhindern, daß sich mehrere Male Abenteurer aufmachten, die Spirale zu erforschen. Sie glaubten unserem Bericht nicht, stahlen Radsegler und Ausrüstung und verschwanden. Keiner von ihnen wurde je wieder gesehen. Doch gerade das führte zu Fantasien vom gelobten Land, die immer wieder neue Abenteurer anlockten.

Als die dritte Expedition ausgerüstet war, war ich ein Mann von 63 Jahren. Schon von weitem sahen wir am Rand der Spirale ein Gewirr von Teilen zerlegter Radsegler, die Überreste der Abenteurer. Die Spirale selbst war leer und stumm, als sei sie nie betreten worden.

An der letzten Stelle, an der die Wagen noch sicher stehen konnten, richteten wir ein Lager ein. Wir ließen uns mit der Gondel in den Schlund rollen, um im freien Fall die Gaskompressoren zu öffnen und den Ballon aufzublasen. Wir hatten den Eindruck, daß es tatsächlich heller und heller wurde. Plötzlich nahm die Helligkeit schlagartig zu – wir hätten vor Überwältigung beinahe vergessen, die Kompressoren zu öffnen:

Sprachlos schwebten wir über dem nie zuvor gesehenen Schauspiel, das die Menschheit sich jetzt aus ihrem Dasein nicht mehr wegdenken kann. Aber was zählt der urerste Blick bei einem Anblick, den wir jedes Mal so erleben, als sei es das erste Mal, obwohl er uns trotz seiner völligen Fremdheit auf seltsame Weise immer erahnt und von weit her vage bekannt erscheint!

Überrascht und ganz versunken in Faszination erkannte ich erst auf den zweiten Blick, daß es sich um eine Kugel handeln mußte. An der schwachen Krümmung konnte ich einschätzen, daß sie etwa 12 Kilometer unter uns lag. Es fiel uns so schwer, uns loszureißen, wir waren so berauscht von dem Anblick, daß wir fast den Zeitpunkt zur Rückkehr verpaßt hätten.

 

9

Obwohl wir schnell herausfanden, daß sie absolut lebensfeindlich ist und aus hochätzendem Feinstaub besteht, und trotz der geringen Qualität der Bilder unserer primitiven, mit handerzeugtem Strom betriebenen Kamera, entfachten die Filmaufnahmen, die wir mitbrachten, bei allen Menschen sofort das Erstaunen, die Faszination und die Neugier, die seitdem nicht geringer geworden sind:

Die riesigen, unabsehbar aus dem Mittelpunkt der transparenten, kalt leuchtenden Kugel wolkenartig herauswachsenden trichterförmigen Gebilde, die sich immer wieder mit kaskadenartigen Entladungen ausfransen – die korrespondieren Asymmetrien, die sie in Form und Rhythmus wechselseitig untereinander bilden, eigenständig aber aufeinander bezogen wie beim Kontrapunkt in der Musik – die offenbar aufeinander abgestimmten Farbwechsel, die nie dazu führen, daß zwei Gebilde sich farblich gleichen: der Faszination dieses Anblicks konnte sich bisher noch keiner entziehen, selbst die Dümmsten, Abgestumpftesten und Beschränktesten nicht. Und die Intelligenz, die wir heute, 25 Jahre nach unserer Entdeckung, überall in der Bevölkerung messen, ist deutlich gestiegen. So Dumme, Abgestumpfte und Beschränkte, wie ich sie noch kannte, gibt es heute gar nicht mehr.

Dass uns der Blick in die Kugel – und sei es auch nur auf den Bildschirmen – intelligenter und geistvoller macht, ist erwiesen, warum das so ist, bleibt ein Rätsel. – Leider – oder soll ich sagen glücklicherweise? – werden wir dadurch nicht zu besseren Menschen. Die Entwicklung von Kultur und Selbsterkenntnis wird uns erleichtert aber nicht abgenommen. Wir sind fähiger für die Aufstiege zum Höheren aber nicht freier von den Neigungen zum Niedrigen.

Nach den neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen wissen wir jetzt, was wir schon immer geahnt, „gefühlt“ haben: Die Kugel ist komplex genug, um die Annahme eines intelligenten Wesens nicht zu verbieten.

Aber selbst wenn sie bewußtseinsfähig wäre: Sie ist zu groß für uns. Erwiesen ist, daß wir definitiv nicht mehr über die Möglichkeiten verfügen, regelmäßige Reize zu erzeugen, die stark genug wären, daß es Sinn für etwas so Großes hätte, sie wahrzunehmen. Hätten wir all die Millionen von Menschen gerettet, die wir hätten retten können, hätten wir all das in den Kriegen verlorengegangene Material noch, sähe die Rechnung anders aus.

Und wir müssen auch davon ausgehen, daß das Wesen – falls es eins ist – uns nicht entdeckt, weil es nicht mit der Möglichkeit völlig anderer Lebensformen rechnet. Und selbst wenn es damit rechnen würde: Wie sollte es darauf kommen, daß ausgerechnet auf seiner Hülle intelligente Mikroben überlebt haben, die bereits vor ihm da waren….

Wir werden nie erfahren, ob es denkt, und wenn ja, was.

So kam es zu den vier großen Selbstvorwürfen, an denen wir uns wahrscheinlich abarbeiten werden bis das Ende der Sonne das Ende unserer Lebensform besiegelt:

Wäre das Wesen intelligent, würde ein Kontakt vielleicht dazu führen, daß es uns unsere Erde an der Oberfläche zurückgeben würde, daß die Erde wieder grün, die Menschheit wieder zahlreich und zu einem gleichberechtigten Partner würde, in einer planetaren Symbiose.

Nach Auswertung aller früheren Erkenntnisse im Lichte der neuesten Forschungsergebnisse müssen wir ferner davon ausgehen, daß wir es uns auch verscherzt haben, die Staubkugel und seine Kruste weiter erforschen können. Alle Erkenntnisse legen nahe, daß es sich um eine völlig andere Art der Energie-Materie-Organisation handelt, auf einer Ebene, die allem, was wir bisher wissen, noch voraus liegt, offenbar auf subquantischem Niveau, auf dem die Vorstellung von Teilchen oder Strings keinen Sinn ergibt. Die Maschinen und die Energie, die wir zur Erforschung dieser Dimension benötigen würden, übersteigen grundsätzlich und bei weitem die Möglichkeiten, die uns nach all den Kriegen übrig geblieben sind.

Und drittens: die Enge wird immer bleiben. Viel weiter schrumpfen kann die Menschheit nicht mehr, wenn sie ihre Reproduktion nicht gefährden will. Hätten wir Millionen gerettet, würden wir über soviel Raum verfügen, daß die zukünftigen Generationen durch Familienplanung den Platz für jeden leicht hätten verzehnfachen, ja verhundertfachen können.

Schließlich werden wir mit unserer Sonne untergehen. Es gibt nicht mehr genug Ressourcen, einmal genügend Archen zu bauen, mit der eine hinreichend große Zahl von Menschen die Menschheit vor dem Tod ihres Gestirns ins All retten könnte.

 

10

Die machtvolle Wirkung der Kugel führte schnell zu ausschweifenden Fantasien. Daß die Kugel „Das Auge Gottes“ sei, war eine der ersten. Daraus entspannen sich abwegige Vorstellungen von einem „Sündbrand“, der nur einige Auserwählte übriggelassen habe – zwar nicht die Gerechten – denn jeder Überlebende hatte viel Schuld auf sich geladen – aber die Stärksten, diejenigen, die die besten Voraussetzungen hätten, einen Stamm der Gerechten zu begründen.

Heute sind die Anhänger dieser esoterischen Lehre zu einer unbedeutenden Sekte geschrumpft, die niemand mehr ernst nimmt. Aber damals, vor 25 Jahren, waren sie bedrohlich. Es war in den damaligen Zeiten, die noch weit mehr von Schock, Schuld, Unsicherheit und Angst geprägt waren, nicht abzusehen, zu welcher Schreckensherrschaft diese Fantasie vielleicht führen würde. Die Sektenführer versuchten den Menschen einzureden, Gott würde seine Ätzschwelle verringern, würden wir nicht wohlgefällig genug leben. Hätten die Sektierer Erfolg damit gehabt, hätten sie eine gnadenlose Inquisition errichten können, mit freier Hand, jeden Abweichler zu vernichten.

Glücklicherweise hatte sich die Gesellschaft schon relativ konsolidiert, als wir die Kugel entdeckten, und eine neue Generation war herangewachsen. So wurde die Sektenbildung durch Fragen in Schach gehalten: Weshalb Gott uns sein Auge sehen lasse? – Antwort der Sektierer: Gott habe in seiner Gnade geruht, uns seinen Blick auf uns sinnfällig darzubieten, um der Leugner und Zweifler zu wehren. – Weshalb er es dann unter der Kruste verberge, statt daß der Himmel uns anblicke? Außerdem könne er unter dem Lid der Kruste ja gar nichts sehen. – Antwort der Sektierer: Gott wolle sich uns nicht aufdrängen und uns nicht alle Mühe des Glaubens an seine Gegenwart abnehmen, und natürlich könne sein Auge durch die Kruste sehen, so wie unser Auge durch die Netzhaut. Spötter meinten dazu: Wenn Gott von unten auf uns blicke, wolle er offenbar bloß den Mädchen unter die Röcke gucken. So kam es, daß mehr und mehr über die Sektierer gelacht wurde.

 

11

Was uns bleibt ist unsere geistige und soziale Entwicklung. Vielleicht können wir in diesem Sinne die Katastrophe, die die Kugel über uns gebracht hat, als Chance für die Menschheit auffassen – wenn wir die Überreste der Menschheit, uns dreitausend, die auf ihrem eigenen Planeten leben wie Schiffbrüchige, wie Gestrandete, noch Menschheit nennen wollen.

(Veröffentlicht 2015)

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